Die Englein backen Plätzchen

 

Die Weihnachtszeit war bereits ganz schön fortgeschritten, als sich der Weihnachtsmann einen Spaziergang durch den Winterwald gönnte. Eigentlich hatte er in den letzten Wochen vor dem Fest, keine Zeit zum Spazierengehen. Aber er brauchte einfach frische Luft zum Durchatmen, um wieder Kräfte zu schöpfen für seine vielen Aufgaben. ‚Wie schön doch der Sonnenuntergang heute den Wald mit einem glutroten Licht bedeckte‘, dachte der Weihnachtsmann gerade, als er sah, dass dort oben, wo es so glutrot funkelte, etwas im Gange war. Jetzt sah er bewusst nach oben und entdeckte viele Engelein, die geschäftig dort oben hin und her liefen. Er blieb stehen, um sich das Schauspiel genauer anzusehen, als er von oben angesprochen wurde. ‚Was ist das?‘, überlegte der Weihnachtsmann, als er direkt über sich Vater Mond aus seinem Bett steigen sah. Und noch einmal hörte er die Stimme von Vater Mond: „He, Alter, das interessiert dich dort oben, stimmt’s?“ „Ja“, antwortete der Weihnachtsmann. „Was geht dort oben vor sich? Was machen die vielen Engel dort?“ „Das weißt du nicht?“, wunderte sich Vater Mond. „Das weiß doch jedes Kind. Die Englein backen Plätzchen fürs Weihnachtsfest. Die das Christkind dann den Kindern bringt!“ Der Weihnachtsmann schaute noch interessierte nach oben. Jetzt wo er wusste, was dort vor sich ging. „Na, wie ist es?“, lachte Vater Monde. „Möchtest du auf einem meiner Mondstrahlen nach oben reisen und einmal direkt zuschauen. Die Engel haben bestimmt nichts dagegen, so einen prominenten Gast zu haben.“ „Wenn das geht?“, fragte behutsam der Weihnachtsmann. „Nun mach schon, und steigt auf! Die Nacht dauert nicht ewig. Auch muss ich noch an anderen Stellen nach dem Rechten sehen“, setzte Vater Mond freundlich hinzu. Das ließ sich der Weihnachtsmann nicht zweimal sagen. Schon war er auf den Mondstrahl geklettert und kaum saß er drauf, war er auch schon oben bei der Engelsbackstube angekommen. „Am Ende der Nacht hole ich dich wieder ab!“, rief ihm Vater Mond noch zu, bevor er weiterzog.  Wie staunten die Englein, als der Weihnachtsmann plötzlich ihre Backstube betrat. Der diensthabende Engel, der Aufsicht in der Backstube hatte, ging sofort auf den Gast drauf zu. „Was kann ich für dich tun?“, fragte er freundlich. „Ich habe gehört, dass ihr Plätzchen fürs Weihnachtsfest bäckt und da wurde ich neugierig, Vielleicht habt ihr noch ein paar für mich übrig?“ „Da wollen wir doch gleich einmal schauen gehen“, sprach der Engel freundlich und begab sich mit dem Weihnachtsmann in das Innere der Backstube. Warm war es hier, so, dass der Weihnachtsmann am liebsten seinen Mantel ausgezogen hätte. Aber das ging ja nun gar nicht. Was wäre wohl ein Weihnachtsmann ohne seinen roten Mantel? Er kam aus dem Staunen nicht heraus, wie wunderschön, die Plätzchen verziert waren. Als die beiden die riesengroße Backstube durchquert hatte, führte der Engel den Weihnachtsmann ins Lager. Dort waren die leckeren Plätzchen und Lebkuchen in weihnachtlich gestaltete Kartons verpackt. Einer immer schöner als der andere. „So“, sprach der Engel, der hier die Aufsicht hatte. „Wie viel Kartons möchtest du denn mitnehmen?“ Voller Freude sah sich der Weihnachtsmann um und nahm mal hier mal dort einen farbenfrohen Karton aus dem Regal. Als er eine stattliche Anzahl beisammen hatte, sagte er: „Diese würde ich gerne mitnehmen, wenn ich darf.“ „In diesem Jahr haben wir noch so einiges übrig“, antwortete der Engel. „Wenn du im kommenden Jahr jedoch wieder Plätzchen haben möchtest, musst du dich früher melden.“ Der Weihnachtsmann bedanke sich freudig und sah, dass gerade Vater Mond von seiner Wanderung zurückgekehrt war. „Nun wird es aber auch Zeit, forderte dieser den Weihnachtsmann auf. Setzt dich auf meinen Mondstrahl und dann ab zur Erde. Im Osten geht bereits die Sonne auf!“ Schnell setzte sich der Weihnachtsmann auf den Mondstrahl und schwupp war er wieder auf der Erde. Vater Mond beeilte sich in sein Wolkenbett zu steigen und schlief fest bis zum nächsten Abend. Der Weihnachtsmann betrat müde, aber sehr glücklich seine Werkstatt. Jetzt konnte er sich sogar noch ein Nickerchen gönnen, bevor die Arbeit weiterging. Alle Sorgen waren verflogen. Die Plätzchen aus der Engelsbäckerei stopften alle offenen Lücken, für die er noch keine Geschenke hatte. © Christina Telker

Bergmann und Engel

 

Die Adventszeit war vorangeschritten, schon stand das Christfest vor der Tür. Die Bergleute trafen sich zur Mettenschicht. Endlich, die letzte Schicht des Jahres, bevor alle mit ihren Familien das Fest des Jahres begehen konnten. Werner freute sich schon sehr auf die Augen seiner Kinder, wenn sie das Weihnachtszimmer betraten und den leuchtenden Christbaum sahen in seinem Glanze. Für ihn war es fast das Schönste am Weihnachtsfest. Längst warteten die Hauer auf das Klopfzeichen, das sie zur Mette rief. Heute durfte die Schicht eher als sonst beendet werden, man traf sich in der Kapelle, bevor man auseinanderging. Ein Dankgebet für die Rettung zu sprechen, die die Bergleute das Jahr über erfahren durften, war für alle eine Selbstverständlichkeit.

Jetzt hörten sie bereits den Förderkorb, der in der Grube angekommen war, um die ersten Kumpel ans Tageslicht zu holen. Nun ging es am laufenden Band. Werner war heute im hinteren Teil der Grube beschäftigt, jetzt beeilte er sich, nach vorn zu kommen. Auf einmal rumpelte es im Schacht und der Korb saß fest. Gerade war er auf der letzten Fahrt nach unten. Werner hatte starke Nerven, ohne die hätte er die Arbeit in der Grube nie überstanden, jetzt war er jedoch den Tränen nahe. Sollte er in diesem Jahr nicht bei der Bescherung seiner Kinder dabei sein? Wenn so ein Transportkorb erst einmal kaputtging, konnte es lange dauern, bis alles wieder reibungslos lief. Er setzte sich auf eine Kiste und holte seine letzten Vorräte heraus.

Die Grubenlampe würde noch so manche Stunde durchhalten, doch dann würde es ungemütlich werden. Werner stellte sich vor, wie es jetzt daheim sein würde. Als seine Grubenlampe fast ihren Schein aufgeben wollte, gewahrte er aus der finstersten Ecke der Grube einen Schein. Was konnte das nur sein überlegte er? Dieses Licht kam auf ihn zu. Werner war wirklich kein Hasenfuß, aber diesen Schein konnte er sich einfach nicht erklären, so wurde es ihm langsam etwas ungemütlich. Eins wusste er jedoch, ein Entrinnen gab es nicht und so wollte er abwarten, was da auf ihn zukam.

Plötzlich sprach ihn dieses etwas an: „Ich möchte dir Gesellschaft leisten, Werner. Hab keine Angst, es ist Weihnachten, das Fest der Liebe!“ Wache oder träume ich, überlegte der Mann. Er kniff sich vorsichtshalber in den Arm und stellte fest, dass er wach war. „Weißt du, wenn du ein Engel bist, denn dafür halte ich dich, dann sorge doch bitte dafür, dass ich zu meinen Kindern komme.“ „Dazu bin ich gekommen. Mit eurem Korb wird es wohl noch bis nach dem Fest dauern.“ „Und wie wollen wir dann nach oben kommen?“, wollte Werner jetzt wissen. „Hast du vergessen, dass ich ein Engel bin?“, antwortete sein Gegenüber. „Steh auf und komm her zu mir. Ich werde dich umarmen.“ Werner tat, wie ihm geheißen. Jetzt war ihm doch, als würde er in einen tiefen Schlaf fallen. Als er erwachte, befand er sich auf dem Weg zu seiner Wohnung.

Werner schaffte es gerade noch, sich umzukleiden, um mit seiner Familie zum Gottesdienst zu gehen. Als er am Abend mit seiner Frau unter dem Christbaum saß, nahm er sie bei der Hand und erzählte ihr von seinem Erlebnis. Da Werner nicht nur Bergmann, sondern auch ein guter Schnitzer war, begab er sich am zweiten Feiertag in seine Werkstatt und ließ erstmals einen Engel und einen Bergmann aus Holz entstehen. Beide trugen Kerzen in der Hand. Diese Figuren stellte er ins Fenster. Jeder, der vorüberkam, erfreute sich an diesen Figuren und dem Schein der Kerzen. So kam es, dass Werner nie wieder als Bergmann arbeiten brauchte. Er bekam ausreichend Aufträge, um Engel und Bergmann zu schnitzen oder zu drechseln. Jeder wollte diese beiden Lichtträger in seinem Fenster stehen haben und das nicht nur im Erzgebirge.

© Christina Telker

 

Der Engel ohne Auftrag

 

Wieder waren alle Engel auf dem Weg zur Erde. Amora saß Mutterselen allein auf seiner Wolke und ärgerte sich. Wie oft hatte er schon vorgesprochen, weil er keinen Auftrag erhielt. Auch er wollte mit den anderen zur Erde fliegen, um dort hilfreich einzugreifen, wo es nötig war. Doch nur im Notfall kam man auf ihn zurück und das geschah selten, immer hörte er, „du musst noch  viel lernen. Beobachte die Älteren, das wird dir guttun.“  Diese Worte konnte er kaum noch ertragen. Arel war auch nur ein paar hundert Jahre älter als er. Was war das schon? Als es Amora zu langweilig auf seiner Wolke wurde, fasste er einen Entschluss. „Ich werde ohne Auftrag zur Erde fliegen! Schließlich war ich ja schon öfter einmal dort unten und kenne mich dort aus.“ Gedacht, getan! So machte er sich auf den Weg. Strich seine Flügel noch einmal glatt, besah sich im Spiegel und war mit sich zufrieden. Er beschloss in eine größere Stadt zu fliegen. Aufmerksam schwebte er über dem Marktplatz. Dort sah er, wie ein Kind dabei war, Äpfel und Apfelsinen beim Gemüsestand zu kaufen. Fröhlich begab es sich auf den Weg nach Hause.  Heiter trällerte es vor sich hin: „Morgen Kinder wird’s was geben.“, da passierte es auch schon. Durch den Schwung, den die leichte Papiertüte angenommen hatte, riss sie und alles Obst kullerte auf dem Gehweg herum.  Schnell landete Amora, riss einen neuen Beutel von den vielen, dort am Stand hängenden, ab und hielt ihn dem Kind hin. Dann half er schnell die Früchte einzusammeln. Das Mädchen staunte nicht schlecht, denn es konnte seinen Helfer nicht sehen. Über das Erlebte nachsinnend, setzte es seinen Heimweg fort.

Amora, mit sich selbst zufrieden, erhob sich wieder in die Lüfte, um weiterzusuchen, wo man ihn wohl brauchen würde.  Schon bald sah er eine Frau, beladen mit unzähligen Tüten, die sie kaum tragen konnte, auf dem Heimweg. Schnell griff Amora zu und half beim Tragen. Weit musste er seine Flügel ausbreiten, um sanft die Frau zu umfassen und ihre Last zu erleichtern. Das erforderte schon einiges Geschick, aber er schaffte es. An der Haustür verließ er die Frau, um nach weiteren Aufgaben zu suchen. Da sah er am Straßenrand einen Mann, der einen wichtigen Termin hatte und nun mit seinem Auto stehengeblieben war. Nichts ging mehr.  Da Engel bekanntlich in die Gedanken der Menschen sehen können, griff Amora schnell ein und schickte dem Mann ein paar hilfreiche Gedanken. Jetzt wurde ihm klar er, wie er handeln musste und erreichte zur rechten Zeit sein Ziel.

Langsam war der Tag fortgeschritten und Amora gedachte wieder gen Himmel zu fliegen. Immerhin hatte er sich ja widerrechtlich entfernt. Das könnte Ärger geben. Als er auf seiner Wolke landete und sich umsah, stand auch schon Petrus vor ihm, mit bitterbösem Gesicht. Erst wollte Amora noch einige Worte zu seiner Verteidigung sagen, unterließ es dann aber. Nach einer Zeit der Stille, die Petrus ihm zum Nachdenken ließ, sprach er: „Du weißt, was du falsch gemacht hast? Ich sehe deinem Gesicht an, wie gerne du widersprechen möchtest, dass du es nicht tust, zeigt mir, dass du gelernt hast und doch verständiger geworden bist. Eigentlich müsste ich dich bestrafen, doch, weil ich sehe, dass es dir leid tut, werde ich davon absehen und dich dafür künftig mit zur Erde senden. Aufträge gibt es genug.“ Amora konnte sein Glück kaum fassen. Keine Strafe, dafür künftig Aufträge zu bekommen, das hatte er nicht zu hoffen gewagt. Wieder schwieg er still, weil er merkte, dass dies gut ankam. ‚Man muss nicht immer das letzte Wort haben‘, dachte er bei sich, auch wenn es ihm unendlich schwerfiel. Als am Tag vor dem Heiligabend alle Engel zur himmlischen Versammlung geladen waren, um ihren Auftrag fürs Christfest zu erhalten, stand in diesem Jahr auch Amora auf der Liste der Freudenboten. Das war ein Weihnachten! Das erste Mal durfte er mit auf die Erde, um den Menschen den Frieden zu verkünden.  Wer dieser Aufgabe würdig war, brauchte sich um künftige Aufträge keine Gedanken mehr zu machen. Glücklich schwebte Amora am Heiligabend zur Erde. Das war ein Weihnachten ganz nach seiner Art. Frieden und Freude gehören doch zusammen, dachte er bei sich. Ab heute gehörte er zu den Großen, was ihn mit Stolz erfüllte. Eins aber wollte er nie vergessen, dass hatte er sich vorgenommen, die Kleinen zu unterstützen, wo er nur konnte.

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Der Weihnachtsengel

 

Tief verschneit lag das kleine Dorf im Winterschlaf. Nach Jahren begrüßte es den Heiligen Abend wieder einmal in Weiß. Die Bäume trugen schwer an dieser Last und doch freute sich Mensch und Natur über dieses prächtige Festkleid.

Den Berg hinauf zum Kirchlein bewegte sich eine Menschenschlange bedächtig und ebenmäßig. Einzelne Laternen leuchteten in die Dunkelheit. Bei der Christvesper wollte keiner fehlen. Ein Heiliger Abend ohne Gottesdienst war doch keine richtiger Heiligabend und bei diesem Wetter lockte es sowieso Jung und Alt zu einem Weihnachtspaziergang ins Freie.

Nur einer konnte nicht dabei sein und das war Rolf. Beim Schlittschuhlaufen auf dem See hatte er der allzu dünnen Eisdecke vertraut und war eingebrochen. Nun lag er mit einer starken Erkältung im Bett. Traurig musste er zusehen, wie Eltern und Geschwister sich auf den Weg zur Kirche machten. Gerade in diesem Jahr sollte er beim Krippenspiel den Weihnachtsengel spielen. Fleißig hatte Rolf geübt, seit Jahren freute er sich auf diese Rolle, die nur den Großen vorbehalten war, nun bekam sie Gerd und er musste daheim im Bett bleiben. Betrübt lag er in seinen Kissen. Er träumte vor sich hin und sah sich im Engelskostüm in der Kirche stehen.

Plötzlich sah er einen hellen Schein am Fenster. `Was war das? Waren die Eltern schon zurück vom Gottesdienst? ‘ Rolf lauschte in die Dunkelheit. `Seltsam`, dachte er, ‚das Licht scheint von oben zu kommen. ` Neugierig schlich er ans Fenster. Trotz der Kälte öffnete er es einen Spalt. Rolf wollte sehen, was sich dort draußen tat. Ein Gefühl von Spannung und Bangen bemächtigte sich seiner.  So, nun konnte er ins Freien blicken. Vom Himmel kam ein heller Schein direkt auf ihn zu. Kam näher und näher. Erst hielt es Rolf für einen Stern oder ähnliches. Dann aber sah er es immer deutlicher. Es war ein Engel! Rolf war so gefesselt von dieser Erscheinung, dass er nicht in der Lage war sich zu bewegen. Der Engel kam genau auf ihn zu und landete auf dem Fensterbrett. „Guten Abend Rolf! Ich bin der Weihnachtsengel“, begrüßte dieser ihn. „Vor über 2000 Jahren verkündete ich den Hirten die frohe Botschaft, dass im Stall von Bethlehem ein Kind geboren sei, Jesus, Gottes Sohn“. „Guten Abend“, stotterte jetzt Rolf. „Jedes Jahr zum Heiligen Abend sehe ich mich auf der Erde um“, setzte der Engel seine Rede fort, „so erfuhr ich, dass auch du gerne einmal der Weihnachtsengel sein wolltest, heute aber im Bett liegen musst. So dachte ich mir, du würdest dich freuen, mich persönlich kennenzulernen.“

Rolfs Wangen färbten sich rot, wie ein Weihnachtsapfel, so strahlte er vor Freude. „Komm“, forderte ihn der Engel auf. „Ich bedecke dich mit meinen Schwingen und du wirst die wahre Weihnacht kennenlernen“. Rolf ging auf den Engel zu und schmiegte sich an ihn. Furcht hatte er schon lange nicht mehr. Er fühlte sich geborgen in den Flügeln des Engels, die ihn wie Arme sanft hielten. Geblendet schloss er die Augen und erlebte die Weihnacht von einst. Er war in Bethlehem, stand bei Ochs und Esel an der Krippe und sah das Jesuskind. Er war dabei, als die Hirten mit den Schafen zur Krippe kamen und lernte die heiligen drei Könige kennen.

Mitten in das wunderbare Erlebnis hinein, sprach ihn der Engel an: „Rolf, komm, steig in dein Bett, ich werde dich sanft zudecken. Gleich kommen deine Eltern nach Hause und ich habe noch einen weiten Weg vor mir“. Wie benommen legte sich Rolf ins Bett. Als etwas später die Geschwister ins Zimmer stürmten, um von der Christvesper zu berichten, schwieg Rolf stille. Was er erlebt oder geträumt hatte, war so groß, so wunderbar, dass er es ganz allein für sich behalten wollte.

‚Im nächsten Jahr bekommen ich bestimmt die Rolle des Weihnachtsengels‘, dachte er noch als er bereits mit den Eltern und Geschwistern vor dem geschmückten Tannenbaum stand.

Ein Engel der dich umarmt


Nun lag Clara schon einige Wochen im Krankenhaus. Wer hätte das gedacht, wie ein paar Minuten der Unaufmerksamkeit ein Leben verändern konnten? Heute war Silvesterabend, ein Abend, den sie bisher immer mit ihren Freunden verbracht hatte. Jetzt lag sie sinnlos hier herum, während die anderen feierten. Sie wollte nichts sehen von dem Trubel dort draußen, so hatte sie die Schwester gebeten, die Vorhänge zuzuziehen. ‚Dann doch besser schlafen, so konnte sie auch ins neue Jahr kommen‘, dachte Clara bei sich und setzte sich ihre Kopfhörer auf. Sie legte ihre Lieblingsmusik ein, um so besser zur Ruhe zu kommen. Recht bald war sie eingeschlafen und was sie dort erlebte, gab ihr Kraft für die kommende Zeit.

Im Traum befand sie sich auf einer sonnigen Wiese. Blumen blühten in den schönsten Farben. Doch dieser Garten, in dem sie sich befand, glich einem Labyrinth. Trotz der vielen Wege fühlte sie sich hier sehr wohl. Immer wenn sie an eine Weggabelung kam, trat ein Engel auf sie zu und führte sie. Diese Engel sprachen mit tröstenden Worten zu ihr. Sie sagten: "Fürchte dich nicht!" oder "Gott ist an deiner Seite!" oder „Du bist nicht allein!“ All diese Worte wirkten beruhigend auf die junge Frau, sodass sie fast etwas traurig war, als sie am Morgen erwachte und dieser wunderschöne Traum vorüber war. Erst als sie richtig zu sich kam, merkte sie, dass sie sich bereits im Neuen Jahr befand.  Als die Schwester ins Zimmer trat und erwartete eine zerknirschte junge Frau vorzufinden, staunte sie über Claras Fröhlichkeit. Sie wünschten sich beiden ein „Gesegnetes neues Jahr“, dann bat Clara, die Vorhänge aufzuziehen und das Fenster zu öffnen. Sie freute sich an der schönen klaren Winterluft und meinte: „Ist das heute nicht ein schöner Tag!“ Schwester Inge konnte diese Wandlung gar nicht fassen. Noch gestern, hatte die junge Frau nur geklagt, jetzt strahlte sie eine Fröhlichkeit aus, die ansteckend war. Ähnlich ging es ihren Freundinnen, die ihr am Nachmittag einen Neujahrsbesuch abstatteten. Als alle gegangen waren, blieb ihre beste Freundin noch ein wenig bei ihr, um sich diese Veränderung erklären zu lassen. „Sag mal, hast du dich verliebt?“, fragte sie und wollte damit einen Scherz machen. „Vielleicht!“, gab Clara schmunzelnd zurück. Dann erzählte sie ihrer besten Freundin von dem Traum der letzten Nacht. Still saß diese da und hörte zu. „Das war wirklich ein besonderer Traum“, meinte sie dann. „Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass dir Gott mit diesem Traum etwas sagen wollte?“ „Ja, ich habe mir darüber Gedanken gemacht und denke, ich habe es verstanden. Ich bin nicht allein. Unser himmlischer Vater ist immer an unserer Seite, ganz gleich, wo wir uns befinden.“ „Manchmal braucht man etwas länger, um dies zu begreifen“, sagte darauf ihre Freundin. „Meinen Worten konntest du nicht glauben. Ein Traum hat dich überzeugt. Gott findet immer Wege, wenn er uns etwas sagen möchte.“ Beide Mädchen umarmten sich vor dem Abschied. Von nun an ging es mit Clara jeden Tag ein wenig voran. Schneller als gedacht, konnte sie die Klinik verlassen. Gemeinsam mit ihrer Freundin ging sie künftig zum Jugendkreis ihrer Gemeinde.

 

Ein Engel möge dich begleiten


Ruhig und besinnlich ging es momentan im Heer der himmlischen Heerscharen zu. Das Weihnachtsfest war mit viel Freude und dem göttlichen Segen bewältigt worden. Jetzt durften die Engel auch einmal ausspannen. Natürlich hatten Engel nie Feierabend. Mit einem Auge schauten sie stets nach dem, ihm anvertrauten Menschen und doch freuten sie sich, einmal unter sich zu sein. Gabriel spielte auf der Harfe, wer Lust empfand, stimmte dazu einen Lobgesang an. Der eine oder andere berichtete von seinen Erlebnissen auf der Erde. Am spannendsten fanden es alle Engel jedoch immer wieder, wenn von Bethlehem berichtet wurde. Diese Geschichte hatten sie schon so oft gehört und doch war es für jeden von ihnen die schönste. Bald würde nun wieder ein neues Jahr Einzug halten, da musste man wieder besonders wachsam sein. Uriel flog schnell zur Erde hinab, um die Hand einer jungen Frau zu halten, die gerade ihrem ersten Kind das Leben schenkte.

Ariel tröstete ein Kind, das um seine Oma weinte. Er machte ihm im Traum klar, dass seine Oma auch jetzt, wenn er sie nicht mehr sehen konnte, immer für ihn da war und ihn bewachte. Getröstet, wachte der Junge auf.

Plötzlich wurde es leuchtend hell am Himmel. Vater Mond und seine Sternenschar hatten ihre Festkleidung angelegt, um das neue Jahr zu begrüßen. Alles freute sich auf das gerade erscheinende neue Jahr. In weißen Pelz gehüllt schritt es über die Schwelle, das Zepter hocherhoben in der Hand haltend. Nur auf der Erde nahm man kaum die Geschehnisse am Himmel wahr. Viel zu hell und laut knatterten die Böller in den Morgenhimmel. Rauchschwaden verdunkelten die Luft und machten das Atmen schwer. Nur dort, wo in kleinen Ortschaften, im Gebirge oder am Meer der Blick in den Himmel noch offen war, erfreute man sich am besonderen Glanz der Sterne in dieser Nacht. So mancher träumte von einer Sternschnuppe, die seine geheimen Wünsche erfüllen würde.

Auch für unsere Engelschar wurde in dieser Nacht der Blick auf die Erde stark getrübt. Trotz allem guten Willen übersahen sie so manches, wo sie zu anderer Stunde eingegriffen hätten. „Warum können sich nur so wenige Menschen an den Schönheiten der Natur erfreuen?“, fragte Omael, ein kleiner Engel, der ebenfalls das Geschehen auf der Erde beobachtete. „Die Menschen wollen sich ihre eigene Welt gestalten“, antwortete Gabriel. „Sie verstehen nicht, dass sie damit die Natur immer mehr zerstören. Viele mögen die Stille und die Besinnlichkeit nicht. Sie können damit nichts anfangen.“ Etwas betrübt blickte die Schar der Engel auf die Erde. Im Stillen beteten sie um Erleuchtung für die Menschen, die guten Willens sind.

 

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