Am nächsten Morgen konnte es Jenny kaum erwarten zum Futterhaus zu kommen, obwohl sie sich sonst gerne morgens etwas Zeit ließ. Würde sie ‚Kelchen‘ wieder verstehen, überlegte sie immer wieder. Kaum hatte sie das Frühstück beendet, schlüpfte sie in ihre Wintersachen und stürmte mit dem Vogelfutter ins Freie. Schnell streute das Mädchen ihre Körner ins Häuschen und stellte sich ein wenig abseits, um die anderen Vögel nicht zu stören. Lange brauchte Jenny heute nicht zu warten, bis ‚Kehlchen‘ angeflogen kam. Mucksmäuschen still stand das Mädchen da und wartete auf den ersten Ton des Rotkehlchens. Und tatsächlich, als der Vogel den Schnabel öffnete, sang er nicht, sondern begann mit Jenny zu reden. „Zuerst möchte ich mich bei dir vorstellen", begann der Vogel zu erzählen. „Da wir Rotkehlchen, die einzigen Vögel sind, die euch selbst in der Winterzeit mit unserem Gesang erfreuen, wurde ich zum Weihnachtsvogel ernannt. Aber nicht nur das ist das Besondere bei uns Rotkehlchen. Eine Sage berichtet, dass meine Vorfahren beim Jesuskind im Stall waren. In einer kalten Nacht wollte das Feuer erlöschen, mein Ururahn fächelte so lange mit seinen Flügeln dem erlöschenden Feuer Luft zu, bis es wieder hell brannte und wärmte. So rettete er das Jesuskind vor dem Erfrieren. Ein paar Federn wurden dabei versengt und färbten sich von seinen Blutstropfen rot. Seitdem haben wir eine rote Kehle." Jenny kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Doch viel zum Nachdenken kam das Mädchen nicht, denn ‚Kehlchen‘ erzählte weiter: „Wir, Rotkehlchen, sind die Vögel, die noch vor Sonnenaufgang ihr Lied abstimmen zur Ehre Gottes und als Dank für seinen Schutz. So früh bist du sicherlich nicht wach, wenn du einmal größer bist, wirst du es erleben." „Jenny, kommt rein. Es ist kalt draußen!", rief die Mutter vom Haus her. „Bis morgen!", zwitscherte ‚Kelchen*, bevor es sich in die Lüfte erhob und davonflog. Noch ganz in Gedanken lief Jenny zum Haus und ließ sich von der Mutti mit heißer Schokolade verwöhnen.


