Jenny und das Rotkehlchen
Jenny freute sich den ganzen Herbst über schon darauf, im Winter ihre gefiederten Freunde zu füttern. Stundenlang konnte sie am Fenster stehen und dem Treiben zuschauen. Nie bekam sie hiervon genug. Das Mädchen kannte alle Vögel mit Namen. Sie beobachtete, wer das Sagen hatte und wer sich schüchtern im Hintergrund hielt. Stets nahm sie Partei für den Schwächeren ein und sorgte dafür, dass alle Vögel ausreichend Futter bekamen. Dabei hatte sie ein kleines Rotkehlchen besonders ins Herz geschlossen. Es kam sogar zu ihr auf die Hand und pickte ein paar Körner aus der Hand. Manchmal zwitscherte es ein paar Töne, als ob es etwas erzählen wollte. „Wenn ich doch nur verstehen könnte, was der Kleine meint“, dachte Jenny dann bei sich. Selbst nachts fand sie manchmal keine Ruhe, weil sie überlegte, wie es möglich wäre, den kleinen Vogel zu verstehen. Manchmal redete Jenny mit dem Vogel und er antwortete, mit einem zwitschern.
So ging es den ganzen Spätherbst über. Am Abend vor dem 1. Advent zwitscherte der kleine Vogel und Jenny verstand: „Morgen bringe ich dir jeden Tag eine Geschichte mit. Das ist mein Dank für das Futter, das du uns jeden Tag bringst“, sang er lustig vor sich hin. Das Mädchen konnte es gar nicht fassen. Hatte eben ihr Vöglein mit ihr gesprochen oder hatte sie sich das nur eingebildet? In dieser Nacht war sie noch aufgeregter als sonst. Was würde 'Kehlchen' ihr wohl erzählen? Heimlich nannte sie ihren kleinen Liebling so, weil er so lieblich singen konnte und ihn ein hübsches, rotes Federkleid am Kropf zierte.
