Jetzt beginnt Weihnachten

 

Kalter Nebel zog unter jeden Mantel, sodass die Menschen ihre Kragen hochschlugen und die Gürtel enger schnallten. Welch ein hässlich, kaltes Wetter, schimpften die meisten und eilten ihrer warmen Wohnung entgegen. Bert interessierte das alles nicht, er spürte nicht einmal die Kälte, so gleichgültig schien ihm das Leben. Ihm war es egal, dass jetzt das Weihnachtsfest nahte, dass die Menschen mit Geschenken bepackt durch die Straßen eilten voller Hast und ohne Ruh. Am liebsten wäre er gar nicht nach Hause gegangen. Was erwartete ihn da schon? Die Wohnung war ungeheizt, im Kühlschrank tanzten die Mäuse. Bert hatte keinen Elan in die Kaufhalle zu gehen. Das Knurren seines Magens ignorierte er. Er sah nicht nach oben, nicht einmal richtig nach vorne. In seiner Gedankenwelt gefangen, schaute er nur auf den Boden, ihm war es gleich, wo seine Füße ihn hinführten. Fast wäre er über einen Tannenzweig gestolpert, der einem Käufer verlorengegangen war. Bert schaute hoch und sah, dass der Verkäufer der Weihnachtsbäume gerade seinen Platz abschloss. Ganz in Gedanken hob der junge Mann den Zweig auf, über den er fast gestolpert wäre. Er wollte ihn über den Zaun werfen, damit es nicht anderen Unachtsamen so ging wie ihm. Als er ihn in die Hand nah blinkte ihn ein Sternlein aus dem Tannengrün an. Bert nahm den Stern in die Hand und musste unwillkürlich an seine Kindheit denken, als er solche Sterne mit der Mutter und seinen Geschwistern in der Adventszeit gebastelt hatte. „Du siehst auch nicht besser aus als ich“, stellte er mit dem Blick auf den Stern fest. „Zerknautscht und in den Rinnstein geworfen, weil du nicht mehr gut genug bist. Wer möchte solch einen Stern schon an seinem Christbaum haben!“, gingen seine Gedanken. In dem Moment stellte er fest. Den Tannenzweig und den Stern, hatte man weggeworfen. Warum sollte er beide nicht mitnehmen. Plötzlich zog es ihn mit aller Macht in sein kleines Turmstübchen. Daheim angekommen suchte er sich ein Glas, gab Wasser hinein, um den Zweig hineinzustellen. Behutsam hängte er den Stern in die Mitte des Zweiges. Ihn störte es nicht, dass er etwas lädiert war. Das erste Mal nach Monaten huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Etwas Knäckebrot und Butter fand er noch. Er kochte sich einen Tee und schaute immer wieder auf den kleinen Zweig. Für ihn war es der größte Schatz, viel strahlender und heller, als für manche Menschen ihr Tannenbaum.  Er drehte die Heizung auf, wobei ihn eine wohlige Wärme durchströmte. „Weihnachten“, dachte er. Wie lange hatte er seinen Briefkasten nicht mehr geleert? Er griff nach dem Schlüssel und ging noch einmal in den Treppenflur. Einiges hatte sich so angesammelt. Karten zum 1. Advent von seinen Geschwistern und der Mutter. Sie luden ihn alle ein und fragten, wie es ihm gehe. Als er in seine Wohnung kam, stellte er sich ans Fenster und schaute in die Nacht hinaus. „Welch ein Sternenhimmel!“, stellte er fest, mit einem inneren Leuchten, das ihn erfasst hatte. In der Nacht träumte er von seiner Familie.

Am nächsten Morgen führte ihn sein erster Weg zum Arbeitsamt. Wie oft war er sinnlos dort gewesen. Heute musste es einfach klappen, dachte er voller Optimismus und er hatte Glück. Ein neues Leben sollte beginnen, das hatte er sich fest vorgenommen. Zärtlich strich er über den kleinen Stern, als er nach Hause kam. Dann setzte er sich an den Tisch, um die Post seiner Familie zu beantworten. Er schrieb, dass er zum Fest bei Ihnen sein würde.

Geschenke konnte er nicht kaufen, aber den Zweig und den Stern nahm er mit zur Mutter. Wie freute sie sich, als sie seine Geschichte hörte. Als er gegen Neujahr wieder heimfahren wollte, lies er den kleinen Stern bei der Mutter zurück. Er war das Versprechen, dass er im Frühjahr wiederkommen würde. Längst hatte er beschlossen, in den Wohnort seiner Mutter umzusiedeln, um mit ihr gemeinsam die letzten Jahre der alten Dame zu verbringen. Als er seine Mutter im Frühjahr wiedersah, war alles für ihn geregelt. Der Bäcker nebenan, wartete auf seinen neuen Gesellen, sein Zimmer war gemütlich eingerichtet. Die dunklen Zeiten waren für immer vorüber. Der kleine Stern bekam einen Ehrenplatz, und leuchtete nicht nur zur Weihnachtzeit, sondern das ganze Jahr. (Christina Telker)

Die Weihnachtskarte

 

Susanne warf einen letzten Blick in den Spiegel, um ihr Aussehen zu prüfen. Jetzt noch schnell zum Briefkasten und dann würde es Zeit werden, sich für die Abreise fertigzumachen. Ein Blick in die Handtasche bestätigte ihr, dass sie alle nötigen Papiere beisammen hatte. In diesem Jahr wollte sie das bevorstehende Fest ganz allein in einer Berghütte verbringen. Die Skier für eine ausgedehnte Wanderung, zu der sie sich langfristig angemeldet hatte, waren bereits im Hotel ihres Urlaubsortes angekommen. Noch einmal schauen, ob sich etwa ein Werbeprospekt verirrt hatte und dafür sorgen, dass der Briefkasten über die Zeit ihrer Abwesenheit leer blieb.

Doch was war das? Sicher hatte der Postbote sich geirrt, als er den Brief bei ihr einwarf. Kein Wunder bei der vielen Post vor dem Fest. Doch, als die junge Frau den Brief näher betrachtete, sah sie, dass es kein Irrtum war, die Adresse trug eindeutig ihren Namen. Wer sollte ihr denn schreiben? Sie hatte doch allen Bekannten Bescheid gegeben, dass sie in diesem Jahr nicht erreichbar sei. Nun trieb sie allerdings doch die Neugier. So öffnete sie den Brief und entnahm ihm eine romantische Weihnachtskarte mit bezaubernder Schneelandschaft, genau passend zu dem, was sie sich für die nächsten Tage erträumte. Diese Karte war von ihrer einstigen Schulfreundin Greta. Jahrelang hatten sie nichts voneinander gehört, so wunderte sich Susanne nicht wenig darüber. Greta schrieb ausführlich. Sie erzählte wie alleine sie sich fühlte seit dem Tode ihrer Mutter im Herbst. Lange hatte sie diese gepflegt. Greta schrieb, wie sehr ihr die Mutter fehlen würde und das ihr vor diesem Weihnachtsfest regelrecht graute. Als Susanne die Karte gelesen hatte, war ihr die Freude am Urlaub vergangen. Warum musste sie auch gerade heute so penibel den Briefkasten leeren? Es hätte doch genügt, wenn sie bei ihrer Rückkehr wieder hineingeschaut hätte.

In Gedanken versunken zog sie sich an, nahm ihren Koffer und bestellte sich ein Taxi, dass sie zum Bahnhof fahren würde. Sie kam einfach von dem Brief nicht los. Bis heute hatte es ihr nichts ausgemacht den Eltern mitzuteilen, dass sie in diesem Jahr nicht nach Hause käme. Warum sollte sie nicht auch einmal nur an sich denken. Sie hatte das Gerede über die alltäglichen Dinge des Lebens satt, ganz besonders über die Krankheiten der Eltern. Die junge Frau wollte von all dem nichts wissen. Auch Geschenke wollte sie nicht. Ja, am liebsten wollte sie sich ganz abseilen und nur noch ihre Ruhe haben. Nun kam dieser Brief, der alles wieder aufwühlte.

Gerade fuhr der Zug im Bahnhof ein. Wieder zehn Minuten Verspätung na hoffentlich würde sie ihren Anschlusszug noch bekommen. Immerhin hatte sie extra einen Platz in der 1. Klasse gebucht, um den Urlaub bereits auf der Fahrt beginnen zu lassen. Und nun? Ihre Gedanken lösten sich nicht von der Karte. War das der Sinn von Gretas Karte, sie wieder an die wichtigen Dinge des Lebens und des Weihnachtsfestes zu erinnern? Im nächsten Moment verwarf sie diesen Gedanken aber auch bereits wieder. Woher sollte Greta ihre Situation überhaupt kennen, sicher war sie der Meinung, ihre alte Schulfreundin würde das Fest im Kreise ihrer Familie genießen und sie wollte sich nur ihren eigenen Kummer von der Seele schreiben, jetzt so alleine dazustehen. Susanne sah in ihre Handtasche. Wo lebte Grete eigentlich jetzt? Immerhin würde es sich ja so gehören, ihr nach dem Fest zu antworten. Immer näher kam der Zug dem Bahnhof, auf dem Susanne umsteigen musste. Er hatte einige Minuten der Verspätung aufgeholt, so konnte die junge Frau ihren Anschluss gerade noch erreichen.

Als ihr Zug hielt, wurde bereits die Einfahrt ihres nächsten Zuges durch den Lautsprecher angekündigt.  Doch in dem Moment, als Susanne den Bahnsteig betrat, stand für sie fest, sie würde ihren Reiseplan ändern. Sie ging zum Fahrkartenschalter und löste sich eine Fahrkarte nach Wiesenburg, dem Wohnort Gretas. Sie würde diese überraschen, damit sie nicht allein sei über die Feiertage. Noch vom Zug aus, in dem sie nur mühsam noch einen Sitzplatz bekam, stornierte sie ihren Winterurlaub. Den Rücktransport der Skier würde sie später, nach den Feiertagen organisieren.

Greta traute ihren Augen nicht, als Susanne so unverhofft vor ihr stand. Viel hatten sich die beiden Frauen zu erzählen, die sich Jahrzehnte nicht gesehen hatten. Zum Ende des Abends stand für beide fest, sie würden, morgen, am Heiligabend gemeinsam zu Susannes Eltern fahren. „Eltern hast du nur einmal“, hatte Greta ihr klargemacht. „Gehst du jetzt deinen Weg, wirst du es später bereuen.“ Noch am Abend buchten sie ein Zimmer im Hotel, nicht weit von Susannes Eltern entfernt, denn immerhin kamen sie unangemeldet und wollten keine Umstände machen. Es sollte ein schönes Weihnachtsfest für alle beteiligten werden.

Als am Heiligabend zur Kaffeezeit die Türglocke bei Susannes Eltern läutete, staunten diese nicht schlecht über den unverhofften Besuch. Gemeinsam gingen sie am Abend zur Kirche und nahmen das Wort der Weihnacht in sich auf. Gottes Liebe kam in die Welt, damit wir Liebe weitergeben.

Als Susanne zu Beginn des neuen Jahres gemeinsam mit Greta die Heimreise antrat, bereute sie keine Stunde, der letzten Tage. So schön war noch nie eine Weihnachtszeit, dachte sie bei sich. Kein Urlaub in einer Skihütte hätte mich hierfür entschädigen können. Die beiden Freundinnen blieben von nun an in Verbindung. Künftige Weihnachtsfeste verbrachten sie stets gemeinsam bei Susannes Eltern. Die Familie war nun auch für Susanne wichtig geworden und das verdankte sie ihrer alten Schulfreundin, die ihr die Augen geöffnet hatte. (Christina Telker)