Die Himmelsbibliothek

 

Jeden Morgen versammelte sich die Engelschar zur großen Besprechung im Himmelssaal. Sie berichten vom gestrigen Tag und nehmen ihre neuen Aufträge entgegen. Manuel, einer der kleinsten der himmlischen Heerscharen, drängte sich anstatt nach vorne, immer in den Hintergrund. Hier meinte er, von den Großen gut verdeckt zu sein. Nein, er wollte sich nicht vor der Arbeit drücken, eigentlich war er sehr fleißig und gewissenhaft, wenn man ihm eine Aufgabe zuteilte, aber er las für sein Leben gern. Am liebsten in dem großen Engelsbuch, das von seinen Vorfahren berichtete. Er bewunderte die Taten der großen Meister, wie er sie nannte und hatte nur einen Wunsch, eines Tages so zu sein wie sie. An den Tagen, an denen er Aufträge erhielt, wie die anderen Engel auch, war er am Abend so müde, dass er auf seiner Wolke zusammensank und sofort einschlief. So hatte er keine andere Wahl, wie er meinte, als sich ab und zu bei der Auftragsverteilung im Hintergrund zu halten. Löste sich die Versammlung auf, schlich er leise aus dem Himmelssaal und begab sich, leise wie ein Mäuslein in die Bibliothek. Dort holte er das Buch aus dem Regal, das er so liebte und war für niemanden mehr zu sprechen. Da die andere ihrer Arbeit nachgingen, lief er auch nicht Gefahr gestört zu werden. So ging es lange Zeit gut und Manuel war ganz zufrieden mit seinem Leben. Doch was war das? Gerade hatte er es sich wieder einmal gemütlich gemacht, da hörte er das Knarren der schweren Bibliothekstür. Vorsichtig lugte er hinter seinem Buch hervor und, oh Schreck, er erkannte, dass es Petrus persönlich war, der geradewegs auf ihn zukam. Jetzt war guter Rat teuer. Er verkroch sich noch tiefer hinter den Seiten des großen, schweren Buches, da er keine Antwort auf die jetzt kommende Frage wüsste. Vorsichtig, aber bestimmt nahm Petrus das Buch und stellte es ins Regal zurück. Nun saß Manuel nackt und bloß in seinem Hemdchen vor seinem Herrn. „Was hast du mir zu sagen?“, sprach dieser ihn sanft, aber bestimmt an. „Ich, ich…“, begann der Kleine zu stottern, dann rannen die Tränen, sodass sein Hemdchen ganz nass wurde. „Nun beruhige dich erst einmal und dann erzähle mir die Geschichte ganz von Anfang an.“ Etwas stockend berichtete Manuel, wie gern er in dem großen Buch las und wie gern er auch so tapfer und fleißig sein möchte wie die Engel, von denen dort geschrieben stand. Aber er erzählte auch, wie klein und wertlos er sich vorkam, weil er immer nur so kleine Aufträge bekam und trotz allem am Abend hundemüde war, so dass er kaum noch einen Bissen von Abendbrot herunterbekam, weil ihm die Augen zufielen. Petrus hörte sich alles in Ruhe an, dann sagte er: „Jeder hat einmal klein angefangen und es freut mich, mit welcher Begeisterung und Ehrfurcht du von deinen Vorbildern sprichst. Da du so gern liest, werde ich dich als Bibliotheksengel einsetzen. Dieser Posten ist schon lange unbesetzt und es wird Zeit, dass hier einer nach dem Rechten sieht. Es gibt hier viel zu tun, wenn du dein Amt ordentlich versehen willst und doch findet sich immer einmal zwischendurch Zeit zum Lesen. Manuel wusste gar nicht, was er zu so viel Glück sagen sollte. Er bedankte sich und jubelte, wie es bei Engeln bei großer Freude üblich ist. Bei der nächsten morgendlichen Besprechung verkündete Petrus, dass Manuel jetzt offiziell der Bibliotheksengel sei. Stolz trat er nach vorne, damit ihn alle sehen konnte. Nun brauchte er sich nicht mehr heimlich in die Bibliothek zu schleichen. Er war sogar dafür verantwortlich. Mit Elan begab er sich daran, die alten Bücher zu entstauben und neu zu ordnen. Er entdeckte so manchen Schatz, von dem er zuvor noch nichts geahnt hatte, aber immer wieder zog es ihn zu seinem großen Engelsbuch, für das er jede Pause nutzte. Viel konnte er lesen, von den Engeln die Weltgeschichte geschrieben hatten. Es las von dem Engel, der Jakob im Traum begegnete, von dem Engel der mit Abraham redete und vielen anderen, aber das schönste war und blieb für ihn, die Geschichte des Engelchores, der den Hirten auf dem Feld die Botschaft des neugeborenen Jesuskindes verkündigte. Wenn er das las, rief er immer ganz überwältigt: „Gloria, Gloria, Halleluja!“ Einmal hörte es ein Engel, der in seiner Mittagspause gerade an der Bibliothek vorbeikam. Er trat ein und fragte ganz erstaunt, was das für ein Lärm hier sei. Manuel schrak aus seinen Gedanken auf und sagte etwas beschämt: „Ich habe die Weihnachtsgeschichte gelesen. Da bin ich immer ganz weg in Gedanken, so schön finde ich diese Begebenheit.“ Der andere antwortete: „Da habe ich eine Lösung für dich. Die Weihnachtsbotschaft ist auch das größte Ereignis aller Zeiten. Nie zuvor und niemals danach ist solches geschehen. Darum feiern die Menschen auf der Erde in jedem Jahr Jesu Geburt aufs Neue. In den Kirchen ist es ein großes Fest. Ich nehme dich in diesem Jahr mit zur Erde. Wir werden zu einem Dom fliegen und uns dort ein Krippenspiel ansehen. Die Menschen spielen die Geschichte von der Geburt Jesu, jedes Jahr nach, weil sie so besonders schön war. Wenn dann die Stelle kommt, wo die Engel die Botschaft verkünden, dann kannst du sie ja verkündigen, was meinst du, wie sie staunen werden!“ Manuel konnte kaum glauben, was er da gerade gehört hatte. Er sollte die Friedensbotschaft verkündigen? Er, der kleine Bibliotheksengel? „Ich werde noch heute mit Petrus reden“, versprach der andere und das tat er auch. Am Abend gab Petrus seine Zustimmung. Manuel konnte sein Glück kaum fassen, immer wieder las er die Geschichte aufs neue, um ja alles richtigzumachen an diesem besonderen Tag.

In diesem Jahr war ihm die Zeit bis zum Heiligenabend viel zu langsam vergangen. Nun saß er auf seiner Wolke, sein weißen Kittelchen hatte er extra noch einmal im Sonnenlicht gebleicht, damit es auch ganz besonders strahlend leuchtete. Jetzt wurde er abgeholt und los ging der Flug. Sein älterer Begleiter kannte sich aus auf der Erde, das merkte Manuel sofort, zielsicher steuerte er eine große Stadt und den dortigen Dom an. Leise und unsichtbar, wie für Engel üblich, flogen sie in die Kirche und landeten auf der Empore. Sie lauschten dem Wort des Pfarrers und dem anschließenden Krippenspiel. Manuel konnte es kaum erwarten, bis sein großer Auftritt kam. Als dann die kleine Laura im weißen Gewand nach vorne trat und den Lobgesang der Engel singen wollte, flog Manuel auf ihre Schulter und ließ sein Gloria erschallen. Die Zuschauer waren sprachlos vor verwundertem Staunen. Auch Laura stand ganz still und lies voller Freude geschehen, was sich hier tat. „Wer singt da meinen Text?“, gingen ihre Gedanken. Als das Gloria verklungen war, brandete ein nicht versiegender Beifall auf, der vermeintlich Laura galt. Manuel saß längst wieder auf der Empore und verfolgte mit Aufmerksamkeit den Rest des Krippenspiels. Als er mit seinem Begleiter wieder den Himmelsaal erreicht hatte, erntete auch er ein großes Lob von Petrus und den anderen Engeln, die seinen Auftritt vom Himmel her verfolgt hatten. Von nun an flog Manuel zu jedem Christfest zur Erde. Jedes Mal in eine andere Kirche. Er war so glücklich über sein Amt in der Himmelsbibliothek und seinen Weihnachtsauftrag

© Christina Telker

Das Weihnachtshaus

 

Der erste Advent war Omatag, das war nun schon seit einigen Jahren so. Darauf freuten sich die Enkel und die alte Dame gleichermaßen. So war auch Oma Ilse in diesem Jahr nicht untätig gewesen in der Vorbereitung dieses Nachmittags. Von ihren drei Kindern, waren es nun bereits sechs Enkel, die sie besuchen würden, eine gemütliche Kaffeerunde, mit vielen guten Gesprächen und einer jährlichen Überraschung. Ein hübsch gedeckter Tisch, mit einem Adventskranz in der Mitte, wartete auf die Rasselbande. Der Kakao dampfte bereits in der Kanne und die selbst gebackenen Plätzchen luden förmlich ein zum Zugreifen.

Da läutete es auch bereits das erste Mal an der Tür. Elke und Ursel stürmten herein, um die Oma zu begrüßen, als sie ihnen die Tür öffnete. Sie hatten sich kaum die Mäntel ausgezogen, als Willi und Margot erschienen. Nun hatten die Vier erst einmal mit sich zu tun und Oma Ilse konnte sich ihren beiden Jüngsten, Bernd und Sahra widmen, als sie eintrafen. Als sich der größte Trubel gelegt hatte, lud Oma Ilse ein zum Kaffeetisch. Das ließen sich die Kinder nicht zweimal sagen. Als der größte Appetit gestillt war und die Gespräche begannen, war die erste Frage von Elke: „Was hast du dir für den heutigen Nachmittag überlegt, Oma?“ Nun wurden auch die anderen aufmerksam und spitzten die Ohren, denn Omas Überraschungen waren immer so, dass all mit Freude im Herzen und schönen Erinnerungen am Abend heim gingen.

„Wenn ihr so weit seid, dann lasst uns erst einmal den Tisch abräumen“, gab die alte Dame zur Antwort. Nun wuchs die Spannung und jedes der Kinder griff gerne zu, damit bald frei wäre. Dann setzten sie sich wieder hin und warteten auf die Oma. „Ich habe ein Haus gebaut“, begann sie die Erzählung. „Willst du umziehen?“, erkundigte sich Sahra. „So meint doch Oma das nicht“, fiel ihr Willi ins Wort. „Oma hat sich sicher ein Spiel für uns ausgedacht.“ „Da kommst du der Sache schon näher“, bestätigte Oma Ilse an Willi gewandt. „Ganz hast aber auch du es nicht getroffen. Heute möchte ich mit euch basteln.“ Die alte Dame stand auf, um aus dem Schlafzimmer das vorbereitete Bastelmaterial zu holen. Zuerst legte sie eine große Pappe in die Mitte des Tisches. „Ein Haus“, rief Elke laut, weil das was da vor ihr lag, ihr sehr gut gefiel. Dieses recht große Haus zeigte sechs weit geöffnete Fenster und eine ebenfalls geöffnete Doppeltür. In den Räumen war es jedoch leer. „Jeder von euch kann sich jetzt ein Fenster aussuchen“, forderte die Großmutter auf, „den Hauseingang gestalten wir dann gemeinsam.“ Schon kamen Vorschläge, die vom Puppenhaus bis zum Chemielabor reichten, ganz dem Alter der Kinder entsprechend. Oma Ilse ließ ihre Enkel reden. Als sie sich beruhigt hatte, stellte sie die Frage in die Runde: „Welchen Tag haben wir heute?“ Natürlich wussten alle sechs Kinder, dass es der erste Advent war. Fragend sahen sie ihre Oma an. „Ja, genau, es ist der erste Advent, und darum wollen wir auch unser Haus nicht irgendwie einrichten, es soll ein Weihnachtshaus werden. In jedes Fenster wünsche ich mir, ein weihnachtliches Symbol gestellt. In den Hauseingang kommt die Krippe. Nun möchte ich eure Ideen hierzu hören, jedoch nicht nur das jeweilige Symbol, sondern auch, warum ihr gerade dies ausgewählt habt.“

Zuerst einmal herrscht Schweigen in der Runde. ‚Da hat sich ja die Oma etwas ausgedacht‘, gehen die Gedanken. Es dauerte jedoch  nicht lange und Elke meldete sich zu Wort: „Ich stelle ein Licht, eine Kerze in mein Fenster. Kerzen gehören in diese Zeit, wenn es draußen schon zeitig dunkel wird. Auch sieht es schön aus, wenn man draußen noch unterwegs ist und im Fenster ein Licht stehen sieht. Dann wird einem gleich viel angenehmer zumute. Ich liebe Kerzen. Mit Mutti sitzen wir auch jeden Abend in der Adventszeit eine Weile bei Kerzenschein und unterhalten uns.“ Die anderen stimmten ihr zu und erzählten von ihren Kerzen daheim. „Das hast du gut ausgewählt“, freute sich Oma Ilse. „Hier habe ich für euch das nötige Bastelmaterial“, sie zeigte auf einen kleinen Tisch der hinter ihr stand und über dem bis zu diesem Zeitpunkt noch ein Tuch gelegen hatte, um die Kinder nicht abzulenken.

„Ich hänge ein Herz in mein Fenster“, begann Margot zu erzählen. Verwundert sahen sie die andren an, als ob sie fragen wollten, was ein Herz mit Weihnachten zu tun hat, aber da setze das Mädchen bereits seine Gedanken fort: “Was wäre Weihnachten ohne Liebe? Aus Liebe bereiten wir uns Geschenke. Aus Liebe zu uns Menschen sandte Gott seinen Sohn in diese Welt. Ohne Liebe könnte auch dein Licht nicht leuchten“, wandte sie sich nun an Elke. Jetzt verstanden sie alle und stimmten ihr zu.

„Aber das Wichtigste ist der Frieden“, ergänzte jetzt Willi. Ohne Frieden sieht es schlecht aus in der Welt. Wir hören es täglich in den Nachrichten und auch auf den Feldern von Bethlehem verkündeten die Engel ‚den Frieden auf Erden‘.“ „Was habe ich doch für schlaue Enkel!“, meinte lächelnd die Großmutter. „Aber darüber, was denn nun das Wichtigste ist, wollen wir uns nicht streiten.“ Jetzt wandte sie sich an ihre Jüngste, Sahra. „Na, meine Kleine, was hast du dir denn so überlegt?“ „Weißt du Oma, ich liebe die Sterne, und wenn ich am Nachmittag vor dem ersten Advent mit Mutti unseren Herrnhutstern zusammenbauen kann, dann ist für mich schon ein bisschen Weihnachten. Es sieht immer so schön aus, wenn er leuchtet und über dem Stall von Bethlehem stand auch ein Stern. Besonders liebe ich es aber, wenn Vati an klaren Winterabenden mit uns vor die Tür geht und uns den Sternenhimmel erklärt. All das ist für mich Weihnachten.“ „Wie recht du doch hast, meine Kleine“, bestätigte Oma Ilse die Worte ihrer Enkelin. „Weißt du, als ich ein Kind war, ging es mir genauso. Auch ich stand an Winterabenden gerne mit meinem Vater vor der Tür und ließ mir die Sternbilder erklären.“

 „Wisst ihr, was mir auch ganz wichtig ist“, mischte sich jetzt Ursel ein, „das Backen mit Mutti und Elke. Wenn wir dann die Plätzchen ausstechen, mit den schönen Formen und sie danach, wenn sie aus dem Ofen kommen, bunt verzieren, dann ist auch für mich Weihnachten. Schon der Duft, der durch die ganze Wohnung zieht, beim Backen. Neulich  sagte auch unsere Nachbarin, bei euch riecht es aber gut, da bekommt man gleich Appetit sich einzuladen.“ „Das stimmt“, gab Oma Ilse zu, „uns darum greift gleich noch einmal zu, denn die leckeren Plätzchen auf dem Tisch, habe ich extra für euch gebacken.“ Das ließen sich die Kinder nicht zweimal sagen.

Frisch gestärkt konnte es nun weitergehen und auch Bernd wollte nun endlich sein Fester schmücken. „Für mich gehört auch immer die Weihnachtspost dazu“, begann er zu erzählen. „Nicht bloß immer Kurznachrichten per Handy. Ja, das mag ich auch, aber wenn ich im Briefkasten eine schöne Weihnachtskarte finde, dann freue ich mich darüber noch viel mehr. Lange steht sie in meinem Zimmer auf dem Schrank und danach kommt sie zu meiner Sammlung. Ich finde es ganz toll, dass du mir immer eine Karte schreibst, Oma.“ „Ich weiß ja auch, dass du diese Karten sammelst und suche immer eine besonders schöne für dich aus“, bestätigt die Großmutter. „Aber Bernd hat recht. Weihnachten ohne Weihnachtspost wäre kein richtiges Weihnachten. Wisst ihr eigentlich, dass es 1843 die erste Weihnachtskarte in London gab?“ „Ich weiß es“, gab Bernd zu, „weil Postkarten mein Hobby sind. Die andren staunte über sein Wissen, obwohl sie zuvor noch etwas über das vermeintlich, altmodische Hobby gelächelt hatten, still für sich.

„Nun sieht unser Haus doch schon richtig schön aus, meint ihr nicht“, freute sich Oma Ilse über ihren gelungenen Nachmittag. „Das stimmt“, bestätigten ihr die Enkel, „aber die Eingangstür, die ist noch leer“, gaben sie zu bedenken. „Darum werden wir das jetzt ändern. Dass in den Eingang unseres Weihnachtshauses die Krippe gehört, sagte ich euch bereits am Anfang. Wenn wir uns jetzt eure Fenster betrachten, finden wir all das wieder, was auch in die Krippe gehört. Hell erstrahlte der Himmel in dunkler Nacht auf dem Feld von Bethlehem, als die Engel den Hirten die Geburt des Jesuskindes und zugleich die Friedensbotschaft verkündigten. Der Stern wies den Hirten und den Königen  den Weg zur Krippe. Alle brachten ihre Gaben dar. Die finden wir die Plätzchen und die Weihnachtspost. Denn beides sind unsere Geschenke, mit denen wir andere Menschen erfreuen. Dein Herz, Margot, zeigt die Liebe, die Gott zu uns Menschen zeigte, in dem er seinen Sohn zu uns sandte.“ „Das hast du aber schön gesagt“, freuten sich die Kinder. Gemeinsam mit ihrer Großmutter gestalteten sie nun die Krippe.

Viel zu schnell verging der Nachmittag, als es läutete und die Eltern erschienen, um ihre Kinder abzuholen. Viel gab es zu erzählen, aber alle wussten, zum Weihnachtsfest sehen wir uns alle wieder. (Christina Telker)

Abenddämmerung

 

Stürmisch zeigt sich der Vormittag des 24. Dezembers. Im kleinen Bergdorf hoffte man sehr, dass dieser schlimme Sturm bald ein Ende finden würde. „Wenn das so weitergeht, werden wir einschneien und können nicht zur Christvesper“, meinte der alte Wilhelm und schob sich seine Pudelmütze noch ein wenig tiefer ins Gesicht. Der Schneesturm nahm zu, so dass man kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte. „Großvater, wenn wir nicht zur Kirche gehen können, weil der Schnee so hoch liegt, kann das Christkind doch auch nicht zu uns kommen. Fällt dann Weihnachten aus?“, fragte der kleine August, mit Besorgnis. „Das Christkind hat bisher immer den Weg zu uns gefunden“, tröstete der Großvater und strich dem Jungen liebevoll übers Haar.

Der kleine August war jedoch nicht der einzige, der sich Sorgen machte. Felix, ein kleiner Engel, saß seit dem Morgen auf seiner Wolke und beobachtete das Treiben dort unten auf der Erde. Er freute sich in jedem Jahr darauf, die Menschen in den Bergdörfern zu beobachten, wenn sie bei beginnender Dunkelheit, mit ihren Laternen in der Hand, den Weg zur Kirche gingen. ‚Das kann ich nicht zulassen, da muss etwas geschehen!', dachte er bei sich. Nachdem er eine Weile sinnend auf seiner Wolke gesessen hatte, war ein Entschluss in ihm gereift. „Wer den Schaden angerichtet hat, der muss ihn auch wieder beseitigen‘, dachte er und begab sich auf den Weg zu Petrus. „Hast du schon einmal auf die Erde geschaut?“, fragte er den Alten. Verwundert sah Petrus auf Felix, der sich wagte, solch einen Ton anzuschlagen. Felix ließ sich jedoch nicht irritieren. „Heute ist Heiligabend, die Menschen möchten zur Kirche gehen, um die Geburt Jesu zu feiern und das Kind zu ehren und der Schneesturm versperrt ihnen den Weg, indem er meterweise Schnee ausschüttet.“ Felix konnte sich kaum bremsen vor Aufregung. „Und was soll ich dabei tun?“, fragte sanftmütig Petrus. „Du könntest dem Sturm Einhalt gebieten und ihn auffordern, den entstandenen Schaden wieder zu beseitigen.“  „Wie stellst du dir das konkret vor?“, fragte Petrus weiter. „Der Sturm könnte die Wege entlang fegen und sie auf diese Weise wieder begehbar machen. So würde sich der Schnee an den Seiten auftürmen und die Wege könnten genutzt werden.“ „Die Idee ist nicht schlecht“, meine Petrus und sann etwas nach, wie es wohl am ehesten zu bewerkstelligen sei. Dann meinte er: „Der Sturm ist längst weitergezogen zum Polarkreis. Ich werde dem Wind die Aufgabe erteilen, die Wege frei zuwehen. Warten wir ab, ob er es schafft.“ Felix bedankte sich und begab sich schnell wieder zu seiner Wolke, um das Geschehen auf der Erde weiter zu beobachten.

„Sieh, der Sturm hat sich gelegt“, wies der Großvater seinen Enkel auf das Geschehen draußen hin und winkte ihn zu sich ans Fenster. August kam und stellte sich neben seinen Großvater. Beide brauchten nicht lange zu warten, bis sich draußen etwas tat. Ein heftiger Wind kam jetzt auf und es dauerte nicht lange, da konnte man wieder die Wege erkennen. „Wir können zur Kirche gehen!“, jubelte August und hüpfte von einem Bein aufs andere. „Und du brauchtest nicht einmal Schneeschieben, Großvater!“ Der Alte schaute ungläubig dem Treiben da draußen zu. So etwas hatte er in seinem langen Leben noch nie wahrgenommen.

Auch Felix beobachtete die Sache dort unten mit Freude. Ein Jubel durchdrang sein Herz. Jetzt konnte er sich Zeit nehmen, um sich seinen himmlischen Aufgaben zu widmen. Hatte man doch ihm in diesem Jahr die Oberaufsicht zum Gelingen des Weihnachtsfestes im himmlischen Saal übertragen. Bis zum Abend war es noch Zeit, dann würde er wieder auf seine Wolke zurückkehren und den Weg der Menschen zu ihrem Kirchlein beobachten. Nun wurde es Zeit, den Festsaal vorzubereiten. Die besten weißen Damast Decken mussten aufgedeckt werden. Als Beleuchtung hatte er Tausende kleiner Sterne bestellt, denen er jetzt ihren Platz anwies. Im Anschluss ging er zu den Posaunenengeln und zum Chor der himmlischen Heerscharen und sah dort nach dem Rechten. Er war sehr zufrieden, mit dem was er sah. Alle waren mit ihren Aufgaben beschäftigt, so konnte am Abend zur Christfeier nichts mehr schiefgehen. Im Himmel begann das Fest immer erst, wenn auf Erden die Christnacht anbrach. Wie überall zum Weihnachtfest lief die Zeit heute um vieles schneller als an anderen Tagen. So wurde es auch für Felix Zeit, seinen Platz auf der Wolke wieder einzunehmen. „Oh wie schön, wie sie alle zum Kirchlein laufen. Wie kleine Glühwürmchen im Schnee sehen sie aus von hier oben. Das ist herrlich!“, freute sich Felix.

Auch Petrus ließ sich an diesem Abend dies Schauspiel nicht entgehen, wollte er doch sehen, ob der Wind seinem Auftrag nachgekommen war.

Als August mit seinen Eltern und Großeltern aus der Kirche kam, war das Christkind bereits dagewesen und der Tannenbaum strahlte im Licht der Kerzen. „Welch ein schönes Weihnachtsfest!“, jubelte August, als er die Pracht daheim sah.

Felix wurde bei der Feier der himmlischen Heerscharen für seinen Einsatz auf Erden ausgezeichnet. Wenn er auch nicht selbst ins Geschehen eingegriffen hatte, so konnte er doch durch seinen Hinweis dafür sorgen, dass auf Erden, die Menschen zur Kirche gehen konnten.

© Christina Telker

 

Acht Pfoten und ein großes Herz


In diesem Jahr hatte der Winter zeitig Einzug gehalten. Nero, der Hofhund, verzog sich tief in seine Hütte und kuschelte sich ins Stroh. Er hatte vergessen, die Jahre zu zählen, die er hier bereits seinen Dienst als Wachhund tat. Er fühlte sich nicht mehr so kräftig wie damals, als der Bauer ihn zu sich nahm. Es kümmerte ihn nicht mehr, ob die Tiere des nahen Waldes im Winter bei der Kälte auf den Hof kamen auf der Suche nach Futterresten. Nur eins konnte er immer noch nicht vertragen und das war, wenn Katzen sich auf dem Hof verirrten.

Plötzlich hörte er etwas. Es war ein Geräusch, das er nicht deuten konnte. Er ärgerte sich über die Störung und doch wollte er wissen, was es war. Es ließ ihm keine Ruhe. Träge schob er sich etwas nach vorne, um besser sehen zu können. Das Geräusch kam vom Stall her. Nero überlegte, ob er sich erheben sollte, als plötzlich Sternschnuppen am Himmel tanzten und die Nacht erhellen. Nero kam sich geblendet vor. Doch konnte er jetzt den Hof besser überblicken.

Das konnte doch nicht wahr sein, vom Stall her nahm er einen Duft nach Katze wahr.
In seine Wut hinein sah er wieder die Sternschnuppen leuchten. Jetzt erreichten Glockenklänge an sein Ohr. "Weihnachten! Das ist Weihnachten", gingen seine Gedanken. Ein Lächeln aus seinem Inneren stimmte ihn friedlich. Als nun auch noch die streunende Katze an seiner Hütte vorbeikam, schob er sein Napf ein wenig weiter nach vorn. "Oh, wie freundlich!" maunzte die Katze, "Frohe Weihnachten." "Frohe Weihnachten", brummte Nero vor sich hin. "Komm doch rein, es ist kalt da draußen." Die Katze traute dem Frieden nicht so ganz. Da sie jedoch keine Wahl hatte und die Nacht eisig war, trat sie näher. Nach den ersten Schritten fasste sie Mut und trat in die Hütte. Nero rückte etwas zur Seite und gab den warmen Platz im Heu frei. Friedlich schlummerten beide in den Weihnachtsmorgen. Als die Katze am Morgen die Hütte verlassen wollte, meinte Nero" bleib ruhig hier. Es ist Platz für Zwei und das Futter reicht auch. Weihnachten hatte zwei Herzen berührt, die zukünftig Freunde blieben.

© Christina Telker

Der Christstollen

 

Kommt die Winterzeit heran und Anna sitzt beim Knistern des Feuers an ihrem Kamin, gehen ihre Gedanken auf Reisen. Gerne denkt sie an die Zeiten zurück, als sie mit ihrer Großmutter hier saß. Zu Füßen des alten Ohrensessels, den sie jetzt selbst gerne nutzt, lauschte sie den Erzählungen der Großmutter. Heute wartet sie auf ihre eigenen Enkel. Gleich wird es läuten und die kleine Rasselbande wird hereinstürmen. Anna freut sich schon immer besonders auf den ersten Advent, zu dem seit Jahren, ihre Enkel zum Kaffee kommen. Das Weihnachtsfest gehört dann den jungen Familien, aber der erste Advent bleibt Omatag. Ihre Gedanken wandern noch einmal zurück und sie denkt an die eine Geschichte, die ihr damals ihre Großmutter erzählte. ‚Die muss ich unbedingt nachher in der Kaffeerunde erzählen‘, nimmt sie sich vor.

Da sind sie ja auch schon! Anna läuft zur Tür, um den ersten Gästen zu öffnen. Jubelnd begrüßen die Kleinen ihre Großmutter. Schon wenig später läutet ein zweites Mal die Türglocke, um Peter und Ulrike anzukündigen. Nach einer fröhlichen Begrüßung nehmen alle an dem reich gedeckten Kaffeetisch Platz. „Omas Plätzchen sind halt doch die besten!“, stellt Marie fest, was zustimmend bejaht wird. „Aber Omas Stollen ist auch lecker“, meint Ulf daraufhin. Das ist das Stichwort für die Großmutter, um mit ihrer Erzählung zu beginnen. „Ihr habt ja jetzt alle noch mit dem Kaffeetrinken zu tun“, beginnt sie. „Ich möchte euch heute einmal eine Geschichte von eurer Ururgroßmutter erzählen und wie es dazu kam, dass sie ihren ersten Stollen backte.“ Sofort trat Stille ein. Omas Erzählungen möchte keiner versäumen, denn alle hören ihr gerne zu.

„Als ich klein war, wusste ich nichts von einem Kindergarten. Da meine Mutter aber auch viel zu tun hatte, ganz besonders in der Adventszeit, war ich oft bei meiner Großmutter. Ich liebte sie sehr und saß gerne zu ihren Füßen, um ihren Erzählungen zuzuhören. So berichtete sie auch einmal von ihrem ersten Adventskuchen, den sie backte. Ihr nennt dies Gebäck heute Stollen. Wie es dazu kam, möchte ich euch nun erzählen. Damals gab es kaum Süßigkeiten. Äpfel, Birnen und im Winter die Nüsse, waren süß genug und wurden von uns Kindern gerne gegessen. Da wir kaum Süßes kannten, vermissten wir es auch nicht. Eines Herbstes, erntete eure Ururgroßmutter ihren ersten Wein, der an der Hauswand wuchs. Sie freute sich über die reiche Ernte und wollte ihn für den Winter aufbewahren. Aber wie? So zog sie auf dem Dachboden eine lange Wäscheleine und hing ihn auf. Auf diese Art machte sie in jedem Jahr ihre Pilzernte den Winter über haltbar.

Der Winter kam und sie dachte wieder an den Wein auf dem Dachboden. ‚Das wird eine Freude, wenn ich ihn zum Christfest herunterhole!‘, dachte sie bei sich. Aber anschauen wollte sie ihn sich doch einmal zuvor. Also stieg sie die Treppe zum Boden hinauf und wunderte sich. Wo war nur der Wein geblieben? Kleine mickrige Beeren hingen auf der Wäscheleine. Enttäuscht ging sie näher. Traurig steckte sie sich eine der Beeren in den Mund. ‚Was ist das?‘, gingen ihre Gedanken. ‚Die Beeren sind ja zuckersüß und so lecker!‘ Schnell nahm sie alle Beeren von der Leine und trug sie in einer Schüssel herunter. Der Familie sagte sie nichts von all dem. Sie wollte erst überlegen, was sie mit den Beeren anfangen könnte. Dann nahm sie sich vor: ‚Ich backe einen Kuchen.‘ Bisher hatte eure Ururgroßmutter nur Blechkuchen gebacken. Kuchenformen besaß sie nicht. Den Blechkuchen brachte man zum Bäcker und ließ ihn dort abbacken. Diesmal wollte sie es aber selbst probieren. Also rollte sie den Kuchen etwas aus, schlug ihn dann wieder zusammen, dass er aussah wie heute euer Stollen, der dort auf dem Tisch steht und backte ihn in der Ofenröhre selbst ab. Am Weihnachtsabend stellte sie ihn auf den Tisch. Etwas seltsam schaute die Familie sie an, überlegend, ob man dies Gebäck wirklich probieren sollte. Als sie es dann jedoch gekostet hatten, waren sie begeistert. Auch die Kaffeegäste, am Weihnachtstag, durften von diesem Kuchen probieren. Schnell sprach es sich herum, welch schönes, neues Gebäck meine Urgroßmutter gebacken hatte. Im kommenden Jahr stand in vielen Häusern solch ein Kuchen zur Weihnacht auf dem Tisch.“ „Das ist ja ein Ding!“, rief jetzt Peter. Munter wurde nun über den Adventskuchen der Ururgroßmutter diskutiert. Das müssen wir unbedingt zu Hause erzählen, waren sich alle einig. Viel zu schnell verging dieser Nachmittag, doch alle freuten sich auf ein baldiges Wiedersehen, denn zu Omas „Bratapfeltag“ würden im Januar alle wieder hier sein. Diesen Tag wollte keiner verpassen. (Christina Telker)

 

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Das entschwundene Lächeln

 

Was wäre die Welt ohne ein Lächeln? Ob wir morgens in den Bus einsteigen auf dem Weg zur Arbeit und freundlich vom Fahrer angelächelt werden, ob es das Lächeln ist, das die Mutter ihrem Kind schenkt, morgens beim Erwachen oder auch das Lächeln frisch Verliebter. Ganz gleich, wo ein Lächeln auftaucht, verändertes die Welt. Jeden verändert es, wenn ihn ein Lächeln streift. Kein Mensch ahnte jedoch, dass er dieses Lächeln vom „Engel der Freude“ geschenkt bekam. Dieser Engel flog durch die Straßen, über Plätze, Wiesen und Wälder und genoss es, die Menschen mit seinem Lächeln zu berühren. Manchmal genügten auch ein paar Körnchen Silberstaub aus seinen Flügeln, den er beim Flug verstreute.

Eines Tages, es war kurz vor Weihnachten, bemerkte der Engel, dass die Menschen durch ihre Sorgen und ihre Hektik so gedrückt durch den Tag liefen, dass sie den feinen Silberstaub seiner Flügel gar nicht mehr wahrnahmen, den er ausstreute.

Mit jedem Silberkörnchen, das er den Menschen schenkte, verlor er etwas von seiner Kraft. Im gleichen Maße wie die Kraft des kleinen Engels schwand, wuchs die Finsternis im Leben der Menschen. Diese liefen in sich gekehrt herum und gerieten immer öfter in Streit. Wütende und zerknirschte Gesichter wurden zur Normalität. Hader, Neid und Missgunst breiteten sich aus. Der „Engel der Freude“ hatte sich in einen Winkel eines verfallenen Schuppens zurückgezogen und wartete auf sein Ende. Er hatte nicht mehr die Kraft zu fliegen, keine Kraft mehr zum Himmel aufzusteigen und konnte so auch keinen Silberstaub mehr verschenken.

Gitti war bei ihrer Großmutter zu Besuch. Für das kleine Mädchen gab es nichts Schöneres, als die Tage bei ihrer Großmutter. Nur in der letzten Zeit war Gitti traurig, denn nicht einmal bei der Großmutter erlebte sie diese besonderen Tage, wie in früheren Jahren. Heute schickte die Großmutter sie in ihren geliebten, alten Schuppen, in dem sie im Sommer so gerne spielte, den Weihnachtsbaumständer zu holen. Gitti setzte sich für einen Moment in eine Ecke des Schuppens und träumte vor sich hin. Plötzlich fiel ihr Blick auf ein vermeintliches Vogelnest in der gegenüber liegenden Ecke des Schuppens. Die Kleine erhob sich, um sich das „Nest“ aus der Nähe zu betrachten. Als sie vor dem „Nest“ stand, meinte sie ein feines, zartes Spinnengewebe zu sehen, das sich über das Strohgebilde gelegt hatte. Gitti konnte nicht ahnen, dass es der kleine Engel war, der sich dorthin zurückgezogen hatte. Vorsichtig berührte sie das vermeintliche Spinnennetz mit dem Finger. Was war das? Ging bei dieser Berührung eine Veränderung in dem Kind vor? Es lächelte vor sich hin. Schnell lief Gitti zur Großmutter, um ihr von ihrem Erlebnis zu berichten. Vor Freude umarmte sie die Großmutter, wobei ein wenig von dem letzten Silberstaub des Engels, der sich noch an ihren Händen befand, auf die Großmutter übertragen wurde. Nun begann auch diese wieder zu lächeln. Diese beiden lächelnden Blicke retteten dem kleinen Engel das Leben. ‚Ich werde aufbrechen zu einem letzten Flug‘, nahm er sich vor, da er sich nun ein wenig gestärkt fühlte.

Bei diesem Ausflug schwebte er noch einmal über die Stadt. Hierbei verlor er immer mehr vom Silberstaub seiner Flügel. Immer stärker wurde der „Engel der Freude“, denn die Menschen begannen wieder zu lächeln. Seine Kräfte kehrten zurück. Voll Übermut versuchte er sein schönstes Lächeln den Menschen zu senden. Und es gelang, die Freude kehrte zurück zu den Menschen. Sie konnten sich wieder freuen auf das bevorstehende Weihnachtsfest, auf den Kerzenschein, auf die Weihnachtslieder. Erst jetzt merkten sie, wie sehr ihnen das Lächeln und die Freude gefehlt hatten. Die Wut, der Zorn und der Groll waren besiegt durch die Liebe und hielten wieder Einzug in der Stadt. Der „Engel der Freude“ hatte seine Aufgabe erfüllt, er hatte den Menschen das Lächeln und die Freude geschenkt, die sie nun wieder untereinander weitergaben. (Christina Telker)

 

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Weihnachtsglocken

 

Lange ist es her, sehr, sehr lange, als ein alter Schmied auf seiner Feuerstelle eine Schale fertigen wollte, diese jedoch nicht mehr am selben Abend fertigstellen konnte. Am nächsten Morgen stellte er fest, dass die Schale, beim ersten Schlag auf das erkaltete Metall, einen wunderlich, lieblichen Ton von sich gab. Dieser Ton gefiel dem Schmied so gut, dass er die Schale erneut im Feuer erglühen ließ, um ihre Form zu verändern. Am nächsten Morgen stellte er fest, dass sich nicht nur die Form, sondern ebenfalls wieder der Klang der Schale verändert hatte. Der Schmied war erfreut über sein Werk und entlockte der Schale immer neue Töne. In dem Moment kam ein Mönch des Weges. „Oh, was hast du da für ein Meisterwerk geschaffen?“, fragte der Mönch den Schmied. „Kannst mir dieses verkaufen?“ Der Schmied wollte sich jedoch nicht von der Schale trennen und gab eine abschlägige Antwort. „Kannst du mir dann solch eine Schale neu erschaffen?“, fragte nun der Mönch. „Ich kann es versuchen“, antwortete der Schmied. Als der Mönch ein paar Tage später wieder vorbeikam, um nach seiner Schale zu sehen, stellte er fest, dass diese neue Schale einen ganz anderen Klang aufwies als die erste. „Sie ist etwas kleiner“, meinte der Schmied, mir stand nur noch wenig Kupfer zur Verfügung.“ Nun schlug der Mönch beide Schalen nacheinander an und stellte fest, dass es eine Melodie ergab. „Ich besorge dir das nötige Material“, versprach er, „du aber fertigst für mich Schalen der verschiedensten Größen und Formen an. Es soll dein Schade nicht sein. Ich werde dich gut belohnen.“ Der Schmied erklärte sich einverstanden.

Es verging eine Zeit, bis der Mönch wieder kam und das Material brachte. Mittlerweile war es Frühling geworden. Überall blühten die schönsten Narzissen und Osterglocken. Als der Blick des Schmiedes über seinen blühenden Garten streifte, dachte er bei sich: ‚Diese tönenden Schalen werde ich wie die Osterglocken so zart und fein formen und werde sie ‚Glocken‘ nennen‘. So hielt er es dann auch.

Als der Mönch zum Ende des Sommers wiederkam, stellte er ihm seine Glocken vor. Der Mönch versuchte darauf zu spielen und entlockte den Glocken himmlische Töne. Das erste Glockenspiel war geboren.

Der Schmied erhielt viele Aufträge von nah und fern. Andere Meister formten weitere Glocken, in verschiedenen Größen und unterschiedlichsten Materialien, so entstanden die Kirchturmglocken, die Tischglocken und viele weitere Glocken. Dieses himmlische Klingen sollte von nun an überall zu hören sein, wünschten sich die Menschen.

Das vernahm ein Glasbläser und begann zarte, feine Glocken aus Glas zu blasen. Oh, wie lieblich klangen sie am Christbaum, wenn sie zur Bescherung riefen. Von nun an hielten die Glocken Einzug in jedes Haus. Ihre wichtigste Aufgabe ist es jedoch, die Menschen zur Andacht zu rufen und das Christfest einzuläuten. (Christina Telker)

 

Wie der Christbaum zu uns kam

 

Gehen wir heute in der Zeit zwischen den Jahren durch abendliche Straßen, leuchten uns aus den Fenstern, von überall geschmückte Weihnachtbäume entgegen. Mal sind es Tannen, mal Kiefern, einmal mit Strohsternen und echten Wachskerzen versehen, ein anderes Mal mit bunten Kugeln und elektrischen Kerzen. Aber das war nicht immer so.

Zur Zeit unserer Urahnen hatten die Christbäume noch lange nicht in jede Wohnung Einzug gehalten. Weihnachtsbäume waren etwas für die Reichen. Längst nicht jeder konnte sich einen Tannenbaum in der Wohnung leisten.

Einst, vor langer, langer Zeit ging das Christkind durch den verschneiten Winterwald, um in das eine oder andere Fenster zu sehen. Wollte es doch wissen, ob die Kinder auch recht brav wären vor dem Weihnachtsfest. Als es so von Haus zu Haus wanderte, kam es auch bei Ursel vorbei, der Försters Tochter. Ursel war ein liebes kleines Mädchen, das seinen Eltern stets Freude bereitete. Als das Christkind bei dem Mädchen durchs Fenster sah, stellte es fest, dass die Kleine gerade schlafen gegangen war. Schon etwas müde sah sie durch ihr Fenster zum Mond hinauf, der sich gerade hinter einer Wolke verstecken wollte. Fast hätte Ursel das Christkind entdeckt, das draußen an ihrem Fenster stand. Als das Christkind das Mädchen so beobachtete, kam ihm eine Idee. Nicht weit von Ursels Fenster stand eine kleine Tanne. Schnell holte das Christkind rote Äpfel, Nüsse und Lebkuchen aus seinem Sack, den es bei sich trug, und schmückte damit die kleine Tanne. Die Nacht zog über Wald und Stadt.

Als Ursel am Weihnachtsmorgen erwachte, entdeckte sie die geschmückte Tanne vor ihrem Fenster. Der Reif hatte, mit seinem Glitzern, den Baum in einen märchenhaften Zauber gehüllt.

„Mutti, Vati“, rief das Mädchen, „kommt einmal her und seht. Das Christkind hat meine kleine weihnachtlich Tanne geschmückt.“ Die Eltern kamen gelaufen und konnten es kaum glauben, was sie da sahen. Schnell holte der Vater den Baum ins Zimmer. Zu keiner Weihnacht war Ursel so glücklich gewesen, wie in diesem Jahr, auf dem abendlichen Weg zur Christvesper. Jedem erzählte sie von ihrem kleinen Tannenbaum. So kamen zum Christfest Freunde und Gäste. Staunend standen sie vor dem geschmückten Baum. Er gefiel ihnen so gut, dass im nächsten Jahr jeder so eine kleine Tanne in der Wohnung haben wollte.

Im Laufe der Jahre brachte ein jeder seine Ideen mit ein beim Schmücken der Christbäume. So kamen Strohsterne, Kerzen, Kugeln, Lametta und viele andere kleine Köstlichkeiten hinzu. Der erste Baum wurde jedoch von Christkind selbst geschmückt. (Christina Telker)

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Die Entdeckung

 

Elke saß auf der Couch, um sie herum lagen einige Backbücher, die sie im Laufe ihres Lebens gesammelt hatte. Die Adventszeit war wieder einmal, schneller als erwartet, in greifbare Nähe gerückt und es galt ein paar Rezepte für die Weihnachtsbäckerei herauszusuchen. Als sie noch so in ihre Gedanken versunken war, läutete das Telefon. Heike, ihre Tochter, rief an. „Hast du schon angefangen, Plätzchen zu backen?“, war ihre erste Frage. „Nein. Ich bin gerade dabei einige Rezepte herauszusuchen“; gab die Mutter zur Antwort. Jetzt folgte ein heiterer Austausch der unterschiedlichsten Anregungen, bis Elke sagte: „Weißt du noch? Kannst du dich noch erinnern? Sicher warst du damals zu klein. Oma verstand es hervorragen zu backen. Ihre Lebkuchen waren unübertroffen. Ich ärgere mich jedes Jahr aufs Neue, dass ich mir ihre Rezepte nicht habe geben lassen. Erst als ich älter wurde, merkte ich scherzhaft den Verlust. Ach, wenn ich diese Rezepte noch hätte!“ seufzte die Mutter. „Ach ja“, begann jetzt auch Heike zu schwärmen, „das wäre tolle. Du weißt, ich werde im nächsten Jahr ein kleines Kaffee eröffnen. Den Raum habe ich jetzt auch schon gefunden. Wenn ich dort zur Weihnachtszeit etwas Besonderes anbieten könnte, etwas, dass es nirgends sonst gibt, das würde mir Kundschaft bringen. Aber ich denke, wir haben schon alles durchgesucht, damals als wir gemeinsam den Boden aufräumten.“ „Ja, leider“, bestätigte die Mutter.

Als das Telefonat beendet war, dauerte es noch ein Weilchen, bis Elke wieder zu ihrem Vorhaben zurückkehren konnte. Die Erinnerung hatte sie gefangen genommen. Nach einer Tasse Tee, machte sie sich jedoch frohgemut weiter daran, die schönsten Rezepte herauszusuchen.  Gegen Abend lag dann eine stattliche Anzahl von Rezepten vor ihr, die sie ausprobieren wollte. Elke musste lächeln, als sie an das eine Rezept dachte, dass in jedem Jahr zur Weihnachtsbäckerei gehörte. Es befand sich in einem alten Backbuch und nannte sich ‚Teufelsküsse‘, da sehr viel Schokolade dafür benötigt wurde. Da ihre Mutter aber vom Teufel keinen Kuss haben wollte, das Rezept jedoch großartig fand, gab sie dem Rezept einfach einen anderen Namen ‚Schokoknöpfe‘ und schon war es für sie kein Problem mehr sie zu backen. ‚Ach ja, wenn doch nur das Rezept der Großmutter noch da wäre. Ob es heute noch funktionieren würde? Viele Zutaten hatten sich verändert im Laufe der Zeit‘, so gingen Elkes Gedanken.

Als Heike zum Adventskaffee erschien, freute sie sich über die gelungenen Kreationen ihrer Mutter. „Möchtest du nicht zu mir ziehen?“, fragte sie in den letzten Jahren zum wiederholten Male. Immer hatte die Mutter abgelehnt. Es gab immer neue Gründe, die sie vorbrachte, um nicht ihren Heimatort zu verlassen. „Wenn ich dann im kommenden Jahr mein Kaffee eröffne, könntest du mir eine große Hilfe sein. So würdest du dich schnell einleben. Was meinst du, was wir alles gemeinsam schaffen könnten.“ Mutter und Tochter hatten sich schon immer gut verstanden. Die Idee mit dem Kaffee war verlockend, das musste Elke zugeben und was hielt sie wirklich noch hier, überlegte die Mutter. „Ich werde es mir überlegen. Im Frühjahr komme ich mal vorbei und schau es mir an“, sagte sie nun zu ihrer Tochter. „Mutti, das wäre großartig!“ Voll Jubel umarmte Heike ihre Mutter. Sie hatte schon nicht mehr daran geglaubt, die Mutter irgendwann überzeugen zu können. ‚Wie gut war doch die Idee, der Mutter im Kaffee, noch einmal eine Aufgabe zu geben‘, dachte die junge Frau jetzt.

Wie versprochen, kam die Mutter Anfang März des folgenden Jahres, um sich die Ideen ihrer Tochter anzusehen. Die Handwerker waren gerade dabei, die Räume zu renovieren. Heike legte der Mutter ihre Entwürfe vor, wie sie sich das Kaffee eines Tages vorstellte. Mit einem Simulationsprogramm hatte sie alles selbst entworfen. Nun berieten die beiden Frauen und brachten gemeinsam ihre Ideen ein. Manches wurde verändert, anderes blieb so, wie Heike es sich vorstellte. Am nächsten Tag gingen beide gemeinsam zu den Ämtern, um die noch erforderlichen Wege zu erledigen. Zurückgekehrt, ging Elke schweren Herzens zum Makler, um ihr Haus zum Kauf anzubieten. Ein wenig Vorfreude auf das Neue, das nun auf sie wartete, war auch dabei, aber der Abschiedsschmerz überwog, immerhin war es ihr Elternhaus, von dem sie sich nun verabschiedete. Schnell fand sich ein Käufer, bei dem Elke auch ein gutes Gefühl hatte und ihm gerne ihr Haus überließ. Schon bald begann sie mit dem Packen der Umzugskartons. Nach so einem langen Leben in einem Haus, galt es Wichtiges von unwichtigem zu unterscheiden. Nicht alles konnte mitgenommen werden.

Als der Mai Einzug hielt und die Bäume im Garten ihre ersten Blüten zeigten, hielt der Umzugswagen vor dem Haus. Nachdem alles verladen war, gingen Mutter und Tochter noch einmal durch alle Räume, um Abschied zu nehmen. Heike strich ab und zu liebevoll mit der Hand über die Wände. Als sie in der Küche angekommen waren, hielt sie plötzlich inne. Noch  einmal berührte sie die gleiche Stelle der Wand, diesmal etwas intensiver. „Mutti, schau, hier ist etwas“, rief sie ihrer Mutter zu. „Was soll da schon sein? Früher hat man nicht so exakt gearbeitet. Wird eine leichte Unebenheit im Mauerwerk sein“, gab sie zur Antwort, kam aber noch einmal zurück, um sich die Stelle genauer zu betrachten, die die Tochter ihr zeigte. Jetzt strich auch sie mit der Hand darüber. Da war etwas, das spürte sie nun auch. Mit einem Messer lösten sie vorsichtig die Tapete und entdeckten eine kleine Tür, nicht größer als ein mittleres Schneidebrett. Mit einem Dietrich öffneten sie das Schloss und standen vor alten Schriften. Unterschiedliche Zettel und Hefte waren hier sorgfältig übereinander gestapelt. Behutsam nahm Elke den Stapel an Schriften aus dem Fach. Ein Jubelschrei entfuhr ihr, als sie die Handschrift ihrer Mutter erkannte. Wenig später wurde beiden Frauen klar, das waren die gesuchten Rezepte der Großmutter. Elke hielt den Stapel der Schriften an sich gedrückt. ‚Danke Mutter, für diesen letzten Gruß‘, dachte sie bei sich. Als daheim die Möbel wohnlich gestellt und das neue Zimmer eingerichtet war, machten sich die beiden Frauen in aller Ruhe daran, die Rezepte zu lesen und zu sortieren. Nichts hielt sie davon ab in den nächsten Wochen, trotz sommerlicher Hitze, Lebkuchen zu backen. Immerhin mussten sie die Rezepte ausprobieren, um sie zur Adventszeit ihren Gästen anzubieten. Jedes einzelne Rezept wurde fein sortiert in eine Kartei eingegeben. Als sich die Frauen für die schmackhaftesten zehn Sorten entschieden hatten, meldeten sie diese zum Patent an.

Als dann, im Spätherbst, Großmutters Lebkuchen und Weihnachtstorten im Kaffee angeboten wurden, riss der Ansturm der Gäste nicht ab. Schnell hatte sich herumgesprochen, dass es im Kaffee „Großmutters Schatzkästchen“, wie die beiden Frauen es genannt hatten, besondere Naschereien für den Gaumen zu heben waren. Als beide Frauen am Heiligen Abend gemeinsam zur Christmesse gingen, dankten sie Gott für das Geschenk, das sie im letzten Moment in ihrem alten Haus entdecken durften. Voller Zuversicht blickten sie eine Woche später gemeinsam ins neue Jahr. (christina Telker)

 

Das passende Geschenk

 

Die Sonne lachte vom Himmel und zeigte sich, dem Frühherbst entsprecht, so wie man es von ihr erwartete. Zu Bernhards Geburtstag traf sich alljährlich die Familie zum Grillabend. Bereits mit einem leichten goldbraunen Schein gefärbt, grüßte das Laub des nahen Waldes.

„Was wünschst du dir eigentlich zu Weihnachten?“, fragte Rolf seinen Cousin Klaus. Es sollte ein Scherz sein, denn dieser Geburtstag lag noch in recht weiter Ferne.  Da jedoch alle Anwesenden die Frage vernommen hatten, nahmen sie es zum Anlass über das richtige Geschenk zu diskutieren, sodass Klaus gar nicht mehr zum Antworten kam. Alles redete durcheinander über die Höhe des Wertes und den Sinn des Geschenkes zum Weihnachtsfest allgemein.

„Ist euch eigentlich klar, was ihr sparen könntet, wenn wir uns nichts mehr zu Weihnachten schenkten?“, fragte Anna. „Mit dieser Summe, könnte man sich selbst einen langersehnten Wunsch erfüllen oder ihr spendet es einem wohltätigen Zweck.“ „So verkehrt ist die Idee gar nicht“, gab Anja zu bedenken. „Wenn ich euch nichts mehr schenke, möchte ich mal eure Gesichter sehen“, lachte Lukas in die Runde. „Ich meine es erst. Ich bin dafür, wir versuchen es in diesem Jahr einmal, ohne gekaufte Geschenke auszukommen.“ Das war Fabian, dessen Wort immer etwas galt. „Wir sind jetzt alle anwesend und beschließen gemeinsam, in diesem Jahr keine Geschenke zu kaufen. Jeder hat von jetzt an noch vier Monate Zeit sich zu überlegen, womit er dem anderen eine Freude bereiten könnte. So denken wir intensiv über denjenigen nach, den wir beschenken möchten.“ Plötzlich trat Stille ein. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. Wieder war es Fabian, der nach einigen Minuten die Stille störte: „Wollen wir doch einmal abstimmen“, schlug er vor. „Zum Christfest treffen wir uns ja sowieso alle wieder und dann werden wir sehen, wie wir mit diesem Vorschlag klargekommen sind.“ Als es zur Abstimmung kam, waren erstaunlicherweise alle einverstanden. „Es ist eine Herausforderung und das lockt mich“, meinte Uschi. „Kaufen kann jeder, es fällt uns auch nicht sonderlich schwer, gegenüber manch einem, dem es nicht so gut geht wie uns. Wenn wir jetzt aber selbst aktiv werden sollen, fordert das schon wesentlich mehr von uns.“ „Das sehe ich genauso. Weihnachten, das Fest der Liebe, da sollten wir doch alle einmal etwas Zeit für den anderen aufwenden. Ich bin schon richtig gespannt auf eure Ideen. Auf meine übrigens auch“, antwortete Rolf schmunzelnd. Ab jetzt waren die meisten der Runde mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, so löste sich der Abend dann zeitiger auf als erwartet. Mit dem Versprechen, sich den  gefassten Beschluss zu halten, verabschiedete man sich voreinander.

Die Zeit war vergangen und so manches Telefonat zu dem Thema Weihnachtsgeschenk geführt worden. Am besten war dies für die Kinder. Endlich würden sie nicht abseitsstehen mit ihren Eigenkreationen, sondern wären den Erwachsenen ebenbürtig. Das Christfest nahte und man traf sich wie in jedem Jahr bei den Eltern. So viel erwartungsvolle Spannung lang selten in der Luft, wie in diesem Jahr, als dann, nach der Christmesse daheim, die Bescherung nahte. Kleine Gaben waren es, die von Hand zu Hand gingen, aber die echte, wahre Freude war größer als gedacht. Immer wieder wurde über den Ideenreichtum des anderen gestaunt. Lukas hatte jedem einen ganz persönlichen langen Brief geschrieben, handschriftlich und dezent verziert. Fabian war in alten Familienfotos fündig geworden und erstellte die unterschiedlichsten Kalender. Anja plünderte ihre Ansichtskartensammlung, die sie sich bei einer Reihe von Urlauben angelegt hatte und schrieb kurze Reiseberichte hierzu. Als die fröhliche Gesellschaft beim Weihnachtsschmaus zusammen saß, sagte Martin, der jüngste der Runde: „Eigentlich müssten wir dem Geburtstagskind, Jesus, etwas schenken.“ Alle verstummten in ihrem Tischgespräch. „Wie recht du doch hast“, antwortete Fabian, „über all unseren Geschenken, vergessen wir schnell einmal das wahre Geschenk, das Kind in der Krippe, das zu uns kam, um uns zu retten. Wenn Jesus ein Geschenk möchte, Martin, dann ist es unser Herz. Denn er kam als das Geschenk Gottes für uns, als Kind in der Krippe in die Welt. Eins jedoch möchte ich noch sagte, weil es im Moment so schön stille  ist und mir alle zuhören. Ich habe selten ein so harmonisches und schönes Weihnachtsfest erlebt wie in diesem Jahr, hier bei uns.“ Ein einstimmiges Kopfnicken war die Antwort. „Dann lag ich wohl gar nicht so falsch mit meinem Vorschlag an Bernhards Geburtstag, auch wenn mich damals noch viele von euch belächelten“, erinnerte Anna. „Und wie recht du hattest“, stimmte Klaus zu. „Wir mussten nachdenken über den anderen. Wir hatten Freude beim Erstellen der kleinen Gaben und wir verschenkten Liebe und sie ist doch wohl das Wichtigste am Christfest.“ Ein einstimmiges Kopfnicken ging durch die Runde. (Christina Telker)

 

 

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Eine Zeitreise oder Maries Traum

 

„Schlaf gut, mein Mädchen.“ Die Mutter beugte sich über Maries Bett, um ihr einen Gutenachtkuss zu geben. Mit einem Lächeln kuschelte sich das Mädchen in ihr Kissen und nahm ihren Teddy in den Arm. Maries Blick schweifte zum Fenster. Sie freute sich an den Schneeflocken, die leise zur Erde fielen.

So träumte sie jetzt auch vom Schnee, auf den sie sich seit Tagen gewartet hatte. Auf einmal fühlte sich das Mädchen wie in einen Schneestrudel gezogen. Dieser trug sie durch die Lüfte und setzte sie in einem Weihnachtszimmer wieder ab. Dort war gerade Heiligabend. Marie sah vier Kinder mit ihren Eltern vor dem Weihnachtsbaum stehen. Der Baum war klein und ungewohnt geschmückt mit Nüssen, Pfefferkuchen und Äpfeln. Marie schaute genauer hin und meinte in einem der vier Mädchen ihre Urgroßmutter zu erkennen. Zuerst las der Vater das Weihnachtsevangelium, im Anschluss sangen alle ein Lied. Nun traten die Kinder im Wechsel an den Baum heran und sagten ein Gedicht auf. Die Gedichte waren lang und doch hörten alle aufmerksam zu. Marie wurde neugierig, sie schlich sich heran und schaute unter den Baum. Dort lagen kleine Gaben ausgebreitet. Vor Aufregung stieß sie eins der Mädchen an, das sich kurz umsah. Wer das wohl war? Jetzt merkte Marie, dass sie wohl die Familie beobachten konnte, aber diese sie nicht sehen konnten. ‚Das ist toll!‘, freute sich Marie im Stillen und beschloss noch eine Weile an dieser Weihnachtsfeier teilzunehmen. Nach der Bescherung begab sich die Familie an den Tisch, dort stand eine große dampfende Schüssel mit einer Speise, die sie nicht kannte, aber sie hört den Namen „Mohnpielen“. ‚Wie das duftet!‘, dachte Marie, die am liebsten zugefasst hätte, um die leckere Speise zu kosten, die allen zu schmecken schien. Als Marie gerade überlegte, ob sie es wagen sollte, den Finger in die Schüssel zu stecken, um einmal zu naschen, wurde sie wieder von einem Schneewirbel erfasst und fühlte sich unsanft in einem dunklen Zimmer abgesetzt.

Auch hier war Weihnachten. Das Mädchen, das mit staunenden Augen in die leuchtenden Kerzen des kleinen Tannenbaumes sah, erinnerte sie an Oma Inge. Die Tanne duftete nach Wachskerzen, die ein sanftes Licht ausstrahlten. Das Mädchen spielte glücklich mit seinem Püppchen, das heute anscheinend ein neues Kleid bekommen hatte. Liebevoll von der Tante, aus Wollresten gestrickt, wie sie hören konnte. Eine umgestülpte Fußbank nutzte das Kind als Bettchen für die Puppe. Jetzt stellte die Mutter dem Kind einen Teller hin, auf dem aus Apfelsinenstücken ein Männchen gelegt war. Gemeinsam wurden Weihnachtslieder gesungen. Gerne wäre Marie noch geblieben, aber da kam auch schon wieder dieser Schneewirbel, der sie erfasste und forttrug.

„He, was soll das! Ich will noch hierbleiben!“, wehrte sich Marie und merkte gar nicht, dass sie bereits in einem Weihnachtszimmer stand. Als sie sich umsah, staunte sie nicht schlecht. „Mutti, das ist ja Mutti!“, rief Marie erstaunt, als sie in dem einen der Kinder ihre Mutti erkannte. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass man sie ja nicht hören konnte.

In dieser Familie ging es recht lebhaft zu. Hier erhielt jeder ein schönes Geschenk und war damit beschäftigt, es auszupacken. Vier reich gefüllte Weihnachtsteller standen auf dem Tisch. Für jedes Kind ein Teller. Obwohl man sah, dass die Kinder keinen Mangel litten, hatte das eine Mädchen, sie erinnerte Marie an Tante Gisi, ihren Teller schon zum großen Teil geleert und versuchte nun heimlich von den Tellern der Geschwister zu naschen. ‚Das gibt Bauchschmerzen‘, dachte Marie. Sie kannte das, wenn sie einmal nicht auf Muttis Rat gehört hatte.

„Guten Morgen, Mariechen“, begrüßte die Mutti ihr Mädchen am nächsten Morgen. „Nun ist es nur noch eine Nacht bis zum Heiligabend.“ Marie rieb sich verschlafen die Augen. „Mutti, ich muss dir was erzählen“, rief Marie ganz aufgeregt. „Gleich meine Kleine. Erst ziehst du dich an und wir frühstücken gemeinsam, dabei kannst du mir alles erzählen.“ Als Marie mit ihrer Mutter am Frühstückstisch saß, ein leckeres Honigbrötchen auf ihrem Teller, begann sie zu erzählen und die Mutti lauschte dem Traum, der viel Wahres enthielt. (Christina Telker)

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Die Weihnachtskarte

 

Susanne warf einen letzten Blick in den Spiegel, um ihr Aussehen zu prüfen. Jetzt noch schnell zum Briefkasten und dann würde es Zeit werden, sich für die Abreise fertigzumachen. Ein Blick in die Handtasche bestätigte ihr, dass sie alle nötigen Papiere bei sich hatte. In diesem Jahr wollte sie das bevorstehende Fest ganz allein in einer Berghütte verbringen. Die Skier für eine ausgedehnte Wanderung, zu der sie sich langfristig angemeldet hatte, waren bereits im Urlaubsort angekommen. Noch ein Blick in den Briefkasten, ob sich etwa ein Werbeprospekt verirrt hatte und dafür sorgen, dass dieser über die Zeit ihrer Abwesenheit leer blieb.

Doch was war das? Sicher hatte der Postbote sich geirrt, als er diesen Brief bei ihr einwarf. Kein Wunder bei der vielen Post vor dem Fest. Doch als die junge Frau den Brief näher betrachtete, sah sie, dass es kein Irrtum war, die Adresse trug eindeutig ihren Namen. Wer sollte ihr denn schreiben? Sie hatte doch allen Bescheid gegeben, dass sie in diesem Jahr nicht erreichbar sei. Nun trieb sie allerdings doch die Neugier. So öffnete sie den Brief und entnahm ihm eine selbst gefertigte Weihnachtskarte, die auf einem alten Foto eine bezaubernder Schneelandschaft darstellte, genau passend zu dem, was sie sich für die nächsten Tage erträumte. Diese Karte war von ihrer Schulfreundin Greta. Jahrelang hatten sie nichts voneinander gehört, so wunderte sich Susanne nicht wenig. Greta schrieb ausführlich, wie allein sie sich fühlte seit dem Tode ihrer Mutter im Herbst. Lange hatte sie diese gepflegt. Greta schrieb, wie sehr ihr die Mutter fehlen würde und dass ihr vor diesem Weihnachtsfest regelrecht graute. Als Susanne die Karte gelesen hatte, war ihr die Freude am Urlaub vergangen. Warum musste sie auch gerade heute so penibel den Briefkasten leeren? Es hätte doch genügt, wenn sie bei ihrer Rückkehr wieder hineingeschaut hätte.

In Gedanken versunken zog sie sich an, nahm ihren Koffer und bestellte sich ein Taxi, dass sie zum Bahnhof fahren würde. Doch sie kam einfach von dem Brief nicht los. Bis heute hatte es ihr nichts ausgemacht, den Eltern mitzuteilen, dass sie in diesem Jahr nicht nach Hause käme. Warum sollte sie nicht auch einmal nur an sich denken. Sie hatte das Gerede über die alltäglichen Dinge des Lebens satt, ganz besonders über die Krankheiten der Eltern. Sie wollte von all dem nichts wissen. Sie wollte auch keine Geschenke. Ja, am liebsten wollte sie sich ganz abseilen und nur noch ihre Ruhe haben. Und nun kam dieser Brief, der alles wieder aufwühlte!

Gerade fuhr ihr Zug im Bahnhof ein. Wieder zehn Minuten Verspätung! Hoffentlich würde sie ihren Anschlusszug noch erreichen. Immerhin hatte sie extra einen Platz in der 1. Klasse gebucht, um den Urlaub bereits auf der Fahrt beginnen zu lassen. Und nun?

Ihre Gedanken lösten sich nicht von der gerade erhaltenen Karte. War das der Sinn von Gretas Karte, sie wieder an die wichtigen Dinge des Lebens und des Weihnachtsfestes zu erinnern? Im nächsten Moment verwarf sie diesen Gedanken aber auch bereits wieder. Woher sollte Greta ihre Situation überhaupt kennen, sicher war sie der Meinung, ihre alte Schulfreundin würde das Fest im Kreise ihrer Familie genießen und sie wollte sich nur ihren eigenen Kummer von der Seele schreiben, jetzt, wo sie so allein und einsam war. Susanne sah in ihre Handtasche und holte den Brief heraus. Wo lebte Grete eigentlich jetzt? Immerhin würde es sich ja so gehören, ihr nach dem Fest zu antworten. Immer näher kam der Zug dem Bahnhof, auf dem Susanne umsteigen musste. Er hatte einige Minuten der Verspätung aufgeholt, so konnte die junge Frau ihren Anschluss gerade noch erreichen. Als ihr Zug hielt, wurde bereits die Einfahrt ihres Anschlusszuges durch den Lautsprecher angekündigt. 

Doch in dem Moment als Susanne den Bahnsteig betrat, stand für sie fest, sie würde ihren Reiseplan ändern. Sie ging zum Fahrkartenschalter und löste sich eine Fahrkarte nach Wiesenburg, dem Wohnort Gretas. Sie würde diese überraschen, damit sie nicht allein sei über die Feiertage. Noch vom Zug aus, in dem sie nur noch mühsam einen Sitzplatz bekam, rief sie im Hotel an und sagte ihren Winterurlaub ab. Den Rücktransport der Skier würde sie später, nach den Feiertagen organisieren.

Greta traute ihren Augen nicht, als Susanne so unverhofft vor ihr stand. Viel hatten sich die beiden Frauen nach so langer Zeit zu erzählen. Zum Ende des Abends stand für beide fest, sie würden, morgen, am Heiligabend gemeinsam zu Susannes Eltern fahren. „Eltern hast du nur einmal“, hatte Greta ihr klargemacht. „Gehst du jetzt deinen Weg, wirst du es später bereuen.“ Noch am Abend buchten sie ein Zimmer im Hotel, nicht weit von Susannes Eltern entfernt, denn immerhin kamen sie unangemeldet und wollten keine Umstände machen. Es sollte in schönes Weihnachtsfest für alle Beteiligten werden.

Als am Heiligabend zur Kaffeezeit die Türglocke bei Susannes Eltern Besuch ankündigte, waren diese mehr als verwundert über den unverhofften Besuch. Gemeinsam gingen sie am Abend zur Kirche und nahmen das Wort der Weihnacht in sich auf. Gottes Liebe kam in die Welt, damit wir Liebe weitergeben, verkündigte der Pfarrer in seiner Predigt. Diese Worte trafen die junge Frau direkt ins Herz.

Als Susanne zu Beginn des neuen Jahres gemeinsam mit Greta die Heimreise antrat, bereute sie keine Stunde, der letzten Tage. ‚So schön war noch nie eine Weihnachtszeit‘, dachte sie bei sich. Kein Urlaub in einer Skihütte hätte mich hierfür entschädigen können. Die beiden Freundinnen blieben von nun an in Verbindung. Künftige Weihnachtsfeste verbrachten sie stets gemeinsam bei Susannes Eltern. Die Familie war von nun an auch für Susanne wichtig geworden und das verdankte sie ihrer alten Schulfreundin und ihrer Weihnachtskarte.

Der abendliche Gast

 

Gerade war Charlotte dabei, ihre Weihnachtsdekoration durchzusehen, die sie vom Boden geholt hatte. Auch wenn sie schon lange alleine lebte, liebte sie die Gemütlichkeit und vor allem die Adventszeit. Es waren ganz besondere Momenten, wenn sie in der Woche vor dem ersten Advent, die wohl sortierten Kartons vom Boden holte, um zu überlegen, wie sie in diesem Jahr ihre kleine Wohnung gestalten würde. Wie viele Erinnerungen hingen an einem jeden dieser Gegenstände. Ob es nun der Leuchter mit den vier Engeln war, den sie zu ihrem zehnten Hochzeitstag, der immer kurz vor dem ersten Advent lag, von ihrem Mann geschenkt bekam. Oder diese kleinen Kurrende Sänger, die noch aus ihrer Kindheit stammten und an die Eltern erinnerten. An diesen kleinen Sängern musste schon in so manchem Jahr das eine oder andere ausgebessert werden, aber umso mehr liebte sie diese Figuren, sie durften nie fehlen.

Plötzlich wurde sie, mitten in ihre Gedanken hinein, von einem Geräusch gestört, das vom Fenster kam. Neugierig geworden trat sie näher heran und entdeckte einen kleinen Vogel, der an ihre Fensterscheiben pickte. „Na, du bist ja ein lustiger Geselle“, redete die alte Frau den kleinen Gast vor dem Fenster an. „Du bist es nicht gewohnt, draußen zu schlafen. Wie ich sehe, bist du ein Wellensittich. Pass auf, ich mache jetzt ganz behutsam das Fenster auf und dann kannst du hereinkommen.“ Als ob der kleine Gast die Frau verstanden hatte, blieb er auf dem Fensterbrett sitzen und beobachtete das Geschehen. Als das Fenster offen stand, trat Charlotte zurück und gab die Flugbahn frei. Eigentlich hatte sie erwartet, dass der kleine Vogel schnell das Weite suchen würde, aber das Gegenteil war der Fall, er flog tatsächlich durch das geöffnete Fenster ins Zimmer, als ob er erkannt hätte, dass es seine einzige Überlebenschance sei bei dem Wetter. Sofort schloss die alte Dame behutsam das Fenster. „Na, das wird jetzt schwierig mit uns beiden“, redete sie wieder mit ihrem abendlichen Gast. „Ich habe weder einen Käfig für dich, noch Futter, das du sicher dringend brauchst.“ Schnell lief sie in die Küche, um ihre letzten Hafenflocken zu holen. „Begeistert wirst du sicher nicht davon sein, aber im Moment habe ich nichts anderes hier für dich“, redete sie mit ihrem gefiederten Gast. Dann griff sie zum Telefon und rief ihren Enkel an, der nicht weit entfernt am Stadtrand wohnte. „Jonas, stell dir vor, mir ist eben ein Wellensittich zugeflogen. Du hattest doch auch mal einen Vogel. Gibt es den Käfig noch, den du damals hattest?“ „Kein Problem, den gibt es noch. Ich komme gleich einmal vorbei und bringe ihn dir. Auf dem Weg gehe ich noch bei der Zoohandlung vorbei und bringe dir Sand und Futter mit. Bis gleich.“ Schon hatte der junge Mann aufgelegt. „Na, da hast du aber Glück gehabt, gleich bekommst du einen Käfig und auch Futter“, redete Charlotte wieder mit ihrem gefiederten Freund. Für eine Weile hatte sie ganz ihr Werk vergessen, das sie zuvor begonnen hatte. ‚Das kann warten‘, dachte sie jetzt bei sich, als sie die Kartons mit der Weihnachtsdekoration ordentlich aufeinander stellte. ‚Morgen ist auch noch ein Tag. Jetzt muss ich erst einmal einen Platz für deinen Käfig finden‘, überlegte sie.  

In dem Moment ging auch schon die Hausklingel und ihre Enkel stand mit allem Gewünschten vor der Tür  „Wie hast du dir das eigentlich gedacht?“, fragte er seine Großmutter. „Soll der Kleine jetzt hier einziehen?“ „Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Sicher wird der Vogel vermisst. Ich werde morgen eine Anzeige aufgeben.“ „Gib mir einfach Bescheid, wenn du Hilfe brauchst“, meinte Jonas, gab seiner Großmutter noch einen Kuss auf die Stirn und war auch schon wieder verschwunden. „Bis Sonntag“, rief er noch aus dem Treppenhaus. Nun richtete Charlotte den Käfig ein, mit frischem Sand, Wasser und dem richtigen Vogelfutter, dann richtete sie für sich das Abendbrot. Es dauerte nicht lange und ‚Peterle‘, so nannte Charlotte ihren Gast, hatte sein neues Heim angenommen und begann ein Abendlied anzustimmen.

Später, auf der Couch, überlegte sie wie wohl die Anzeige formulieren würde, um auch nicht allzu viel von sich preiszugeben.

Bereits wenige Tage später erschien die Anzeige in der Zeitung. Auf einen Anruf wartete die alte Dame jedoch umsonst. „Keiner vermisst dich“, sprach sie ihren gefiederten Freund an. „Ist schon seltsam. Da du dich hier jedoch sichtlich wohlfühlst, ist das aber kein Problem für uns beide. Du bleibst einfach hier.“ Als ob der kleine Sänger die alte Dame verstanden hätte, antwortete er auf seine Weise.

Die Adventszeit schritt voran, das Weihnachtsfest war längst vorüber und auch das neue Jahr hielt noch so manches Unbekannte für alle bereit. Charlotte und Peterle hatten sich aneinander gewöhnt. „Wie schön, dass du zu mir kamst“, sagt sie oft morgens zur Begrüßung zu ihrem kleinen Gast, wenn sie am Morgen das Tuch vom Käfig nahm.

Da plötzlich, es war bereits Mitte Januar, läutete das Telefon und eine fremde Stimme sagte: „Sie haben eine Anzeige aufgegeben, dass ihnen ein Vogel zugeflogen sein. Ich las diese Anzeige erst heute. Gibt es Hansi noch?“ Am liebsten hätte die alte Dame gesagt: „Der Vogel, der wurde schon längst von seinem Besitzer abgeholt.“ Es fiel ihr schwer, die Wahrheit zu sagen, so sehr hing sie nun schon an Peterle, den der Mann am Telefon Hansi nannte. Dann entschied sie sich und sagte: „Ja, Peterle geht es gut, er ist mir zur lieben Unterhaltung geworden.“ „Darf ich einmal vorbeikommen, damit wir uns unterhalten können und ich ihnen alles erklären kann?“, fragte der alte Herr höflich. „Warum eigentlich nicht“, sagte Charlotte nach einigem Zögern. „Wir sehen uns dann heute zum Kaffee.“ ‚Warum habe ich mir das angetan? ‘, fragte sie sich, als sie den Hörer aufgelegte. „Nun heißt es Abschied nehmen“, erzählte sie ihrem Peterle, der wie immer auf das Gespräch mit einem zwitschern antwortete.

Mit bangem Herzen sah Charlotte dem Nachmittag entgegen. Pünktlich läutete es an ihrer Tür. Als der Vogel die Stimme seines Besitzers hörte, begann er sofort zu singen und war fröhlich wie noch nie. Es wurde ein fröhlicher Kaffeenachmittag mit vielen Gesprächen. Norbert, so hieß der alte Mann, berichtete von seinem Krankenhausaufenthalt und darüber, dass er seiner Nachbarin den Schlüssel gegeben hatte, um Hansi zu versorgen. Dann eines Tages hatte sie das Fenster und die Käfigtür, in Gedanken gleichzeitig geöffnet. Natürlich war ihr das sehr peinlich und sie besorgte aus der Zoohandlung einen neuen Vogel und meinte, ihr Nachbar würde es nicht bemerken, wenn er wieder heim kam. Natürlich konnte das nicht klappen. Wenn Norbert es ihr auch nicht sagte, er sah es am ersten Tag, dass dies nicht mehr sein Peterle war, das da auf der Stange saß. Eines Tages im Januar, als er die alten Zeitungen durchsah, aus der Zeit seiner Abwesenheit, entdeckte er die Anzeige und wusste sofort, das konnte nur Hansi sein, von dem da die Rede war. ‚Nur gut, dass er überlebt hat‘, freute er sich und nahm sich vor, bei der Nummer, die in der Anzeige stand anzurufen. „Nun möchten sie bestimmt Peterle, ich meine Hansi“, verbesserte sich Charlotte, „wieder mitnehmen. Wir haben uns gerade so aneinander gewöhnt.“ „Nein, ich lasse Hansi hier bei ihnen. Was sollte ich denn mit dem jetzigen Vogel machen, der in meiner Wohnung auf mich wartet?“, war die Antwort. Der alten Dame fiel ein Stein vom Herzen. Beim Abschied lud Norbert, Charlotte zum Gegenbesuch ein. Die beiden Alten verstanden sich bestens. Es gab ja so viel zu erzählen aus der Vergangenheit und endlich war jemand da, der zuhörte. Als Charlotte wieder die Wohnung zum ersten Advent schmückte, war diese um einiges größer. Nicht nur zwei Vögel sangen im Duett jetzt ihr Weihnachtslied, auch zwei Menschen freuten sich auf ein paar gemeinsame Jahre, die noch vor ihnen lagen. (Christina Telker)

Der Wunschzettel

 

Schon seit einigen Tagen lag ein leeres Blatt auf Katjas Schreibtisch, das sie vorwurfsvoll ansah, in der Hoffnung endlich mit Wünschen gefüllt zu werden.  Heute wollte sie sich etwas Zeit nehmen, um ihren Lieben den Gefallen zu tun. Ein Wunschzettel sollte es werden.

Katja brühte sich einen Kaffee, holte sich aus der Weihnachtsdose ein paar Plätzchen und legte sich eine weihnachtliche CD ein. In dieser Stimmung musste es doch etwas werden. Bereits Mitte November hatte ihre Familie, ihr diesen Zettel auf den Frühstückstisch gelegt. Susen, ihre Jüngste, verzierte ihn sogar mit einem Tannenzweig. Also ganz leer war er nicht. Übermorgen war der zweite Advent. Langsam wurden die Kinder und ihr Mann ungeduldig und sahen sie strafend an. Sie hatten ja recht, denn für den Rest der Familie waren alle Weihnachtsgeschenke längst besorgt und hübsch verpackt. Katja liebte es gar nicht, sich in letzter Minute in den Einkaufstrubel zu stürzen.

Als sie so da saß und der Musik lauschte, wanderten ihre Gedanken zurück in die Kindheit. Mit welcher Freude hatte sie damals den Wunschzettel geschrieben und ihn Knecht Ruprecht auf die Fensterbank gelegt, mit einer Möhre für seinen treuen Esel. Er würde diesen dann schon dem Christkind bringen, hatte sie fest geglaubt. Katja dachte an die kleinen Überraschungen, mit denen ihre Eltern es verstanden hatten, die Adventszeit zu schmücken. Es war eine arme Zeit, man hatte kaum das Nötigste, aber Herzenswärme, die hatte man sich erhalten.

Wieder schaute die junge Frau ihren leeren Wunschzettel an. Was sollte sie sich nur wünschen, wozu eigentlich? Man hatte doch alles und wenn sie einen Wunsch hatte, konnte sie sich diesen sofort selbst erfüllen. Warum zu Weihnachten extra Geld ausgeben? Das wollte sie eigentlich gar nicht. So grübelte sie vor sich hin.

Plötzlich kam ihr eine Idee, ein Tag so ganz in Familie, so ganz ohne Störung, das wäre etwas Schönes. Wie lange hatten sie sich das nicht mehr gegönnt! Damals als die Kinder klein waren, war es etwas anderes, aber heute… Ihre Großen gingen ihre eigenen Wege, nur das Nesthäkchen war noch um sie herum, aber es gestaltete sich auch den Tag nach seinen Wünschen. In ihren ersten Ehejahren hatte Jochen sie auch ab und zu bekocht. Er konnte gut kochen, hatte es sich aber im Laufe der Jahre abgewöhnt. Das wäre etwas, dachte Katja wieder, ein Tag ohne jede Störung von außen, nur in Familie. So nahm sie den Stift zur Hand und schrieb, ich wünsche mir:

 

Der erste Feiertag ist Familientag!

 

Karen bereitet zu acht Uhr ein festliches Frühstück.

 

Paula übernimmt die Planung für den gemeinsamen Winterspaziergang

 

Jochen kocht das Weihnachtsmenü

 

Susen bereitet den Spielenachmittag vor

 

Als Katja am Abend der Familie den Wunschzettel hinlegte, staunten sie nicht schlecht. „Aber Mutti, wir wollten dir etwas schenken“, oder; „Muss das sein, ich habe mich schon mit meinen Freunden verabredet“, waren Sätze, die Katja zu hören bekam.

Desto näher das Weihnachtsfest rückte, desto ruhiger und ausgeglichener wurde ihre Familie. Jochen freute sich aufs Kochen. Paula war mit Begeisterung bei der Planung des Vormittags und ihre Jüngste hatte bereits ihre alten Spiele hervorgeholt, die keiner mehr ansah, in letzter Zeit und freute sich schon auf den Nachmittag.

Als die Familie am ersten Feiertag beim Abendbrot saß, das Katja liebevoll zubereitet hatte, waren alle voll Lobes über diesen Tag. „Das war der beste Wunschzettel, den du seit Jahren geschrieben hast“, stellten sie einmütig fest.

 

Ein Fest für Tiere

 

Raschelnd knistert das Papier. „Hast du noch Schleifenband für mich?“ Franzi ist dabei, das Geschenk für Papa einzupacken. Mit viel Fleiß hatte sie aus Streichholzschachteln ein Schränkchen für den Papa gebastelt. Hierin konnte er kleine Schrauben und Nägel aufbewahren. „Hier hast du Schleifenband, dafür brauche ich dich, um meine Geschenke zu beschriften, du hast so eine saubere Schrift.“ „Klar, mach ich doch gerne.“ Franzi blinzelte ihrem Bruder zu, sie kennt seine Schwäche mit der Handschrift.

„Franzi, Peter, seid ihr so weit, wir wollten doch in den Wald gehen!“ Der Vater klopft an die Tür des Kinderzimmers. „Ja, wir kommen gleich“, schallt es ihm daraus entgegen.  Schon im Herbst hatten die Kinder fleißig Kastanien und Eicheln, Zapfen und Bucheckern gesammelt. Der Vater besorgte wie in jedem Jahr das Heu. Gemeinsam gingen sie dann am vierten Advent die Tiere des Waldes besuchen. Peter und Franzi liebten den Wald. Im Sommer hielten sie sich viel dort auf und gingen mit ihren Eltern gemeinsam spazieren. Dabei hatten sie auch ausgekundschaftet, wo die Tiere sich aufhielten und wo sie im Winter das Futter auslegen könnten, damit Fuchs, Hase und Reh es finden würden. Jeder von ihnen nahm nun seinen Rucksack und losging die Winterwanderung. „Schaut euch genau um und beobachtet, was sich im Winter im Wald verändert hat“, forderte der Vater seine Beiden auf. „Bei dem Schnee kann man doch gar nichts sehen“, antwortete Peter prompt. „Da irrst du dich aber, sieh dich ruhig um.“ Der Vater schmunzelte. Ab und zu flog ein Vogel auf und Schnee rieselte den Dreien ins Gesicht. „Dort, schau Peter, der Schnee ist nicht glatt, wie bei uns im Dorf, überall sind Spuren“, machte Franzi ihren Bruder darauf aufmerksam. „Hab ich schon gesehen. Vati, von wem sind all die Spuren?“ Nun war es an dem Vater, die einzelnen Fährten zu erklären.  Wie im Fluge verging den Kindern die Zeit zum Futterplatz der Tiere. Nun packte jeder seine mitgebrachten Schätze aus. „Schau, Mutti hat wie immer auch an uns gedacht, in meinem Rucksack ist heißer Tee!“ „Und in meinem sind Pfefferkuchen!“, setzte Peter hinzu. Rund um eine Tanne legten die Kinder das mitgebrachte Futter aus. An den Baum hängten sie Meisenringe und Nüsse für die Eichhörnchen. „Zum Fest kommen wir wieder her und sehen, ob die Tiere unsere Bescherung gefunden haben“, tröstete der Vater seine beiden, da er merkte, wie schwer es den Kindern fiel, jetzt wieder nach Hause zu gehen. Gerne wären sie geblieben und hätten die Tiere beobachtet. „Mich fängt schon an zu frösteln“, Franzi steckte schnell ihre Hände wieder in die warmen Handschuhe. Peter ordnete die einzelnen Gaben noch in Grüppchen an.  „Damit   sie sich nicht zanken“, meinte er. Frohgemut, mit einem Weihnachtslied nahmen sie Abschied von ihrem Tierweihnachtsbaum und freuten sich schon auf das Fest und ihren Baum daheim, den sie am nächsten Tag mit dem Vater schmücken würden. Von Ferne sahen sie noch, wie ein Eichhörnchen als Erstes sich dem Baume näherte. „Sicher sagt es jetzt den anderen Tieren Bescheid“, meinte lächelnd der Vater.

Der rote Weihnachtsapfel

 

Der Frühling war ins Land gezogen, überall grünte und blühte es. So meinte auch der alte Apfelbaum im Garten, dass es an der Zeit wäre, sein weißes Blütenkleid anzulegen. Wunderschön sah er aus. Die Bienen summten in seinen Zweigen, die Vögel begrüßten jeden neuen Morgen mit einem Lied. Konnte es ihm denn besser gehen? Der Apfelbaum stand da im Garten und erfreute sich an seinen Apfelkindern. Ganz klein und winzig zeigten sich die ersten Äpfel an seinen Zweigen. Der Sommer hielt Einzug, die Sonne lachte strahlend vom Himmel, der Regen tränkte den Baum, wenn die Sonne es wieder einmal etwas zu gut gemeint hatte. Der Apfelbaum sah stolz auf seine reifenden Äpfel. Schön sahen sie aus, wie sie so kräftig und prall an den Zweigen hingen. Im Spätsommer sprangen die ersten Apfelkinder vom Baum hinab ins Gras. Sie wollten schon längst nicht mehr so langweilig am Baum herumhängen, sie wollten etwas erleben. Der Vater kam in den Garten, hob einen der Äpfel auf und biss herzhaft hinein. „Wie süß und saftig sie in diesem Jahr wieder sind“, freute er sich. „In ein paar Tagen werden wir die Äpfel ernten können“, dachte er. Es wurde eine reiche Ernte. Sie füllte den Keller mit Wintervorräten. Aus den Falläpfeln wurde süßer Apfelmost. Als der Herbst sich seinem Ende zu neigte und der Apfelbaum schon fast alle seine Blätter verloren hatte, kam die kleine Elke in den Garten. „Vati, schau, ganz oben im Baum hängt noch ein Apfel!“ Der Vater schaute nach oben und meinte, „da kommt kein Mensch heran, wir lassen ihn den Vögeln für den Winter hängen.“ Elke jedoch tat es leid um den einsamen Apfel. Jeden Tag lief sie in den Garten, um zu sehen, ob er noch am Baum hing. Eines Tages, nach einem heftigen Herbststurm, fand Elke den Apfel nicht mehr an seinem Platz. Aufmerksam suchte sie den Rasen ab und fand auch ihren Apfel. Doch wie sah er aus? Obwohl der Apfelbaum nur grüne Äpfel trug, hatten die Wochen im Herbstsonnenschein diesem Apfel schöne rote Wangen gemalt. Schnell lief Elke mit ihrem Apfel ins Haus. „Mutti, sieh, unser letzter Apfel ist ein Weihnachtsapfel geworden.“ So hing der letzte Apfel zum Christfest am Weihnachtsbaum. Im Glanz der Kerzen dachte der Apfel an die Sommersonne im Garten zurück.

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Mitten im Winter


Lange ist es her, dass der alte Bert, man nannte ihn den Einsiedler, hier im Walde wohnte, und doch erzählen sich die Menschen immer noch von ihm. Eine Generation gab die Geschichte an die andere weiter.

Sein Leben lang hatte er im Walde gearbeitet. Als Köhler kannte er jeden Baum und jeden Strauch. Die Tiere des Waldes hatten keine Scheu vor ihm. Jeden Winter war er in den Wald gegangen, um die Futterraufe zu versorgen, die er für die Tiere gebaut hatte. So entdeckte er eines Tages, als es ihn weiter als sonst in den Wald zog, ein kleines Haus. ‚Das wäre etwas für meine alten Tage‘, dachte er so bei sich. Seitdem zog es ihn immer wieder zu diesem Platz. Er erkundete, was es mit dem Haus auf sich hatte und erfuhr, dass die Besitzer vor langer Zeit verstorben waren und es keine Erben gäbe. Eines Tages würde der alte Kasten verfallen, meinten die Leute im Dorf. So fasste sich Bert ein Herz und sprach beim Dorfschulzen vor. Dort war man froh, dass der Alte sich dieses Gebäudes annehmen wolle und händigte ihm gerne die Schüssel aus. Nun konnte Bert die Besichtigung kaum noch erwarten und machte sich am nächsten Samstag auf den Weg. ‚Was würde ihn wohl erwarten? ‘, überlegte er immer wieder. Viele Fragen stellte er sich in dieser Zeit, so vergingen die Tage bis zum nächsten Wochenende wie im Fluge.

Wie staunte er, als er beim Betreten des Hauses feststellen musste, dass es bis auf den Staub, der sich auf die Möbel gesetzt hatte, wunderbar erhalten und geschmackvoll eingerichtet war. ‚Da brauche ich meine alten Möbel gar nicht mehr mitschleppen‘, gingen seine Gedanken. Er besah sich den kleinen Keller und den winzigen Schuppen und war ebenfalls von allem sehr angetan. Er freute sich schon auf die Abende bei Kerzenschein. Der Herd und der Ofen waren ebenfalls in sehr gutem Zustand. Alles, was er sah, stimmte ihn fröhlich. So machte er sich in der kommenden Woche auf den Weg zum Schulzen, um den Vertrag zu unterschreiben. Nun war er stolzer Hausbesitzer. Von nun an gab es kein Wochenende mehr, an dem der Alte nicht in seinem Haus verbrachte. Zuerst einmal wurde geputzt und gewienert. Dann ging er daran, es sich nach seinen Vorstellungen einzurichten. Schon nach wenigen Wochen hatte er sich eingelebt. Abends saß er vor der Tür und erfreute sich an der Natur.

Viele Jahre lebte Bert nun schon in seinem Waldhaus. Ab und zu schauten Wanderer bei ihm vorbei, die gerade hier entlangkamen. Sie waren verwundert darüber, wie man so abgeschieden leben konnte. Kamen sie jedoch mit dem alten Mann ins Gespräch, waren seine Zufriedenheit und seine stille Heiterkeit so ansteckend, dass sie gerne zum Kaffee blieben und beim Waldhaus eine Pause einlegten. Wieder einmal stand der Winter vor der Tür, eine Jahreszeit, in der die Besuche der Wanderer seltener wurden, bis sie ganz ausblieben. Bert störte das nicht, er war mit sich und der Natur im Einklang. So wunderte er sich, als es eines Winterabends an seine Tür klopfte. Als er öffnete, stand ein durchgefrorener Handelsmann vor ihm. Er hatte sich im aufkommenden Nebel verlaufen und war froh, plötzlich mitten im Wald ein Licht zu sehen. Erst konnte er es kaum glauben, dann erkannte er jedoch, dass es keine Täuschung war. Beherzt ging er darauf zu, war es doch die einzige Möglichkeit an diesem Abend noch eine Obhut zu finden. Gerne lud ihn der alte Mann ein, sein Gast zu sein. Schnell brühte er einen heißen Kräutertee und bewirtete seinen Gast mit Essen und Trinken.
Am nächsten Morgen, als die Sonne den Wald erhellte, erklärte Bert seinem Gast, den Weg in das nächste Dorf. Zum Abschied schenkte ihm dieser ein paar Samenkörner mit den Worten: „Pflege und bewahre sie, so wirst du deine Freude daran haben und ein Wunder sehen.“ Bert bedankte sich und legte die Samenkörner in einen leeren Blumentopf. ‚Im Frühjahr werde ich sie neben meiner Bank vor dem Haus aussäen. Mal sehen, was daraus wird‘, nahm der Alte sich vor und vergaß bald die Worte des Gastes.

Der Frühling zog ins Land, wie freute sich Bert an dem Gesang der Vögel, daran, wie nach und nach der Wald erwachte und sein grünes Kleid anlegte. Jetzt konnte er auch wieder auf seiner Bank im Freien sitzen. Als er sich so umsah, dachte er plötzlich an die Samenkörner, die sein winterlicher Besucher ihm geschenkt hatte. Schnell holte er sie und legte sie in die Erde, neben seiner Bank. ‚Hier könnte ruhig etwas Grün entstehen, ich bin schon gespannt, was sich daraus entwickelt‘, dachte der Alte.
Die Monate vergingen, der Frühling ging in den Sommer über, der Wald stöhnte unter der Hitze und Trockenheit. Immer wieder einmal streifte der Blick des alten Bert die Stelle neben seiner Bank, wo er den Samen der Erde übergeben hatte. ‚Nichts, nichts‘, dachte er. ‚Mit Freude und Wunder war wohl nicht viel‘, meinte er so zu sich selbst, ‚aber manchmal klappt es halt nicht mit dem Samen. Das konnte der Händler ja auch nicht wissen".
Der Herbst zog ins Land und färbte den Wald mit all seinen Farben. ‚Gibt es denn etwas Schöneres, als die Jahreszeiten so hautnah zu erleben‘, freute sich der Alte, wenn er seine täglichen Spaziergänge unternahm. Nie bereute er den Entschluss, sich hier niedergelassen zu haben.

Wieder war es Winter geworden. Der Samen war längst vergessen. Weihnachten stand vor der Tür. Hierfür bereitete der Alte den Waldtieren stets ein besonders reichhaltiges Mahl. Auch sie sollten diesen Heiligen Abend als etwas Besonderes empfinden. Abends trat er vor die Haustür, um in die Sterne zu sehen, die bekanntlich in dieser Nacht ganz besonders schön erstrahlen. Aber was war das? Hatte er etwas liegen lassen als er das Futter für die Tiere vorbereitete. Da lag doch etwas im Schnee. Bert bückte sich, um genauer hinzusehen. Und was entdeckte er? Ein Wunder war geschehen! Zu der Zeit, wo die Natur schlief, alle Pflanzen sich zur Winterruhe begeben hatten, blühte neben seiner Bank im Schnee eine Blume. Sie sah so schön in ihrer leuchtend weißen Blüte mit ihren grünen Blättern aus, dass der Alte nur sprachlos staunen konnte. Nie hatte er eine solche Blume gesehen. Das Geschenk seines winterlichen Gastes war für ihn zu einem Weihnachtsgruß geworden. „Da du am Christtag erblüht bist, werde ich dich ‚Christrose‘ nennen“, sprach Bert zu der Blume. Lange konnte er sich an der Blüte der Blume erfreuen. Als der Frühling wieder ins Land zog, legte sie sich schlafen. Aber der Alte wusste, zur nächsten Weihnacht würde sie ihn wieder erfreuen und dafür war er seinem Gast stets dankbar.

In den folgenden Jahren schenkte der Alte den Menschen, die ihm besonders am Herzen lagen, ein paar Samen. So breitete sich die Christrose aus und war bald in vielen Gärten zur Weihnachtszeit zu sehen.

 

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